„Müssen ehrlich zu uns selbst sein“
Amira Mohamed Ali (Linke) über Ampel und Existenzkampf ihrer Partei
Frau Mohamed Ali, SPD und Grüne sondieren im Bund ohne die Linke. Ist die Ampel gut für Deutschland -- sehen Sie einen Aufbruch?
Mohamed Ali: Bislang kann ich keinen Aufbruch erkennen, sondern eher Parteien, die vor allem um Posten ringen. Es soll zwar eine überfällige Erhöhung des Mindestlohns geben, aber dieses Zugeständnis der FDP musste offensichtlich teuer erkauft werden. Denn damit ist die soziale Agenda auch schon erschöpft. Es gibt beispielsweise keine soziale Steuerreform, die niedrige und mittlere Einkommen entlastet und die Einkommen der Reichen dafür höher belastet. Statt einer grundsätzlichen Abkehr vom Hartz-IV-System gibt es nur einen neuen Namen. Die Ampel-Parteien produzieren große Überschriften und bleiben die Antwort schuldig, wie sie ihre Pläne finanzieren wollen. Die Grünen enttäuschen auch stark beim Klimaschutz.
Die Energie- und Spritpreise schießen in die Höhe. Was muss eine Bundesregierung jetzt tun, um Verbrauchern zu helfen?
Mohamed Ali: Wir brauchen als Sofortmaßnahme einen Energiepreisdeckel. Der Staat muss bei einer Entwicklung wie derzeit Höchstpreise für Benzin, Öl und Gas für Verbraucher setzen, die nicht überschritten werden dürfen. Das normale Leben muss für alle Menschen bezahlbar sein.
Wohin muss die Linke nach dieser Wahlniederlage aufbrechen, um wieder wahrnehmbar zu werden? Mohamed Ali: Wir müssen ehrlich zu uns selbst sein und das Wahlergebnis kritisch aufarbeiten. Das braucht Zeit und unabhängige Expertise. Hanebüchene Schuldzuweisungen, die am Tag nach der Wahl oder wenige Tage danach einfach aus dem Hut gezaubert wurden, helfen da nicht weiter. Wer sich jetzt hinstellt und als
erstes sagt: ‚Ich war’s nicht!‘, und stattdessen zum Beispiel nur auf Sahra Wagenknecht und die Fraktion zeigt, leistet keinen Beitrag zu einer konstruktiven Debatte. Wir brauchen eine echte Analyse der Gründe für die Wahlniederlage und müssen daraus Schlussfolgerungen ziehen. Schließlich haben wir auch eine Serie von Wahlniederlagen hinter uns, die noch nicht vernünftig aufgearbeitet wurde. Angefangen bei der Europawahl über mehrere Landtagsund Kommunalwahlen. Wer ernsthaft um das Wohl der Partei bemüht ist, hat die Pflicht, die Vergangenheit gründlich zu analysieren und Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen.
An diesem Montag wählt die Linksfraktion ihre Vorsitzenden neu. Sie kandidieren wieder. Ist durch die Wahlniederlage – Dietmar Bartsch war Spitzenkandidat -- Ihre Autorität angekratzt? Mohamed Ali: Eine Opposition im Bundestag, die soziale Themen in den Mittelpunkt stellt, ist nötiger als je zuvor. Es geht doch darum, dass die Bundestagsfraktion gut geführt wird. Dietmar Bartsch und ich haben das getan, und die Mitglieder unserer Fraktion haben sehr wohl registriert, dass wir in den vergangenen zwei Jahren gemeinsam viel unternommen haben, die Fraktion in ruhigeres Fahrwasser zu bekommen. Wir sind da auf einem guten Weg.
Kämpft die Linke in den nächsten vier Jahren um ihre Existenz?
Mohamed Ali: Ja, da gibt es kein Vertun. Ohne die großartige Leistung von Gesine Lötzsch, Gregor Gysi und Sören Pellmann, die alle drei ihre Direktmandate gewonnen haben, wären wir jetzt nicht im Bundestag. Es ist jetzt unsere gemeinsame Aufgabe wieder mehr Menschen von unserer Politik zu überzeugen, die uns dann auch wählen. Denn es bleibt dabei: Von unserer Politik profitiert die große Mehrheit der Bevölkerung.