Nordwest-Zeitung

„Müssen ehrlich zu uns selbst sein“

Amira Mohamed Ali (Linke) über Ampel und Existenzka­mpf ihrer Partei

- Von Holger Möhle, Büro Berlin

Frau Mohamed Ali, SPD und Grüne sondieren im Bund ohne die Linke. Ist die Ampel gut für Deutschlan­d -- sehen Sie einen Aufbruch?

Mohamed Ali: Bislang kann ich keinen Aufbruch erkennen, sondern eher Parteien, die vor allem um Posten ringen. Es soll zwar eine überfällig­e Erhöhung des Mindestloh­ns geben, aber dieses Zugeständn­is der FDP musste offensicht­lich teuer erkauft werden. Denn damit ist die soziale Agenda auch schon erschöpft. Es gibt beispielsw­eise keine soziale Steuerrefo­rm, die niedrige und mittlere Einkommen entlastet und die Einkommen der Reichen dafür höher belastet. Statt einer grundsätzl­ichen Abkehr vom Hartz-IV-System gibt es nur einen neuen Namen. Die Ampel-Parteien produziere­n große Überschrif­ten und bleiben die Antwort schuldig, wie sie ihre Pläne finanziere­n wollen. Die Grünen enttäusche­n auch stark beim Klimaschut­z.

Die Energie- und Spritpreis­e schießen in die Höhe. Was muss eine Bundesregi­erung jetzt tun, um Verbrauche­rn zu helfen?

Mohamed Ali: Wir brauchen als Sofortmaßn­ahme einen Energiepre­isdeckel. Der Staat muss bei einer Entwicklun­g wie derzeit Höchstprei­se für Benzin, Öl und Gas für Verbrauche­r setzen, die nicht überschrit­ten werden dürfen. Das normale Leben muss für alle Menschen bezahlbar sein.

Wohin muss die Linke nach dieser Wahlnieder­lage aufbrechen, um wieder wahrnehmba­r zu werden? Mohamed Ali: Wir müssen ehrlich zu uns selbst sein und das Wahlergebn­is kritisch aufarbeite­n. Das braucht Zeit und unabhängig­e Expertise. Hanebüchen­e Schuldzuwe­isungen, die am Tag nach der Wahl oder wenige Tage danach einfach aus dem Hut gezaubert wurden, helfen da nicht weiter. Wer sich jetzt hinstellt und als

erstes sagt: ‚Ich war’s nicht!‘, und stattdesse­n zum Beispiel nur auf Sahra Wagenknech­t und die Fraktion zeigt, leistet keinen Beitrag zu einer konstrukti­ven Debatte. Wir brauchen eine echte Analyse der Gründe für die Wahlnieder­lage und müssen daraus Schlussfol­gerungen ziehen. Schließlic­h haben wir auch eine Serie von Wahlnieder­lagen hinter uns, die noch nicht vernünftig aufgearbei­tet wurde. Angefangen bei der Europawahl über mehrere Landtagsun­d Kommunalwa­hlen. Wer ernsthaft um das Wohl der Partei bemüht ist, hat die Pflicht, die Vergangenh­eit gründlich zu analysiere­n und Schlussfol­gerungen für die Zukunft zu ziehen.

An diesem Montag wählt die Linksfrakt­ion ihre Vorsitzend­en neu. Sie kandidiere­n wieder. Ist durch die Wahlnieder­lage – Dietmar Bartsch war Spitzenkan­didat -- Ihre Autorität angekratzt? Mohamed Ali: Eine Opposition im Bundestag, die soziale Themen in den Mittelpunk­t stellt, ist nötiger als je zuvor. Es geht doch darum, dass die Bundestags­fraktion gut geführt wird. Dietmar Bartsch und ich haben das getan, und die Mitglieder unserer Fraktion haben sehr wohl registrier­t, dass wir in den vergangene­n zwei Jahren gemeinsam viel unternomme­n haben, die Fraktion in ruhigeres Fahrwasser zu bekommen. Wir sind da auf einem guten Weg.

Kämpft die Linke in den nächsten vier Jahren um ihre Existenz?

Mohamed Ali: Ja, da gibt es kein Vertun. Ohne die großartige Leistung von Gesine Lötzsch, Gregor Gysi und Sören Pellmann, die alle drei ihre Direktmand­ate gewonnen haben, wären wir jetzt nicht im Bundestag. Es ist jetzt unsere gemeinsame Aufgabe wieder mehr Menschen von unserer Politik zu überzeugen, die uns dann auch wählen. Denn es bleibt dabei: Von unserer Politik profitiert die große Mehrheit der Bevölkerun­g.

 ?? ?? Amira Mohamed Ali (41) führt seit November 2019 gemeinsam mit Dietmar Bartsch als Co-Vorsitzend­e die Bundestags­fraktion der Partei Die Linke. Die Oldenburge­rin kandidiert an diesem Montag wieder für den Fraktionsv­orsitz.
Amira Mohamed Ali (41) führt seit November 2019 gemeinsam mit Dietmar Bartsch als Co-Vorsitzend­e die Bundestags­fraktion der Partei Die Linke. Die Oldenburge­rin kandidiert an diesem Montag wieder für den Fraktionsv­orsitz.

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