Es muss schnell gehandelt werden
VdK-Präsidentin Bentele zu Energiepreisen und Sozialpolitik der Ampel
Massiv gestiegene Energiepreise: Fürchten Sie, dass Hunderttausenden von Menschen im Winter Strom und Gas abgestellt wird, weil sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können?
Bentele: Wir haben diese Befürchtung in der Tat. Der Winter mit den steigenden Heizkosten steht uns ja noch bevor. Viele Menschen mit wenig Geld leben in schlecht isolierten, kalten Wohnungen. Wenn dann die Jahresabrechnung kommt, werden sie die oft nicht mehr bezahlen können. Dann stellt sich für so manchen die Frage: Entweder etwas Ordentliches essen oder in einer warmen Wohnung leben. Da muss die neue Regierung ganz schnell helfen.
Wie kann das gelingen? Muss womöglich gar die jetzige Regierung noch aktiv werden? Bentele: Sie haben recht. Es muss schnell gehandelt werden. Auch die alte Regierung muss Lösungswege erarbeiten. Zum Beispiel bilden die Hartz-IV-Regelsätze die Preissteigerung überhaupt nicht ab. Und auf die müssen die Menschen am Ende zurückgreifen, weil die steigenden Energiepreise in den vom Amt bezahlten Wohnkosten nicht genügend abgedeckt werden.
Daher müssen sich die jetzige und die neue Bundesregierung etwas einfallen lassen, um Menschen mit wenig Geld direkt zu helfen. Möglich wäre etwa pragmatisch ein Einmalzuschuss für Haushalte mit wenig Geld, wie es in anderen Ländern gerade geplant ist.
Wenn Sie die sozialpolitischen Elemente im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP sehen, setzen die Parteien darin die richtigen Impulse? Bentele: Für mich fehlen einige wesentliche Säulen. Der größte Mangel ist, dass die potenziellen Partner noch keinen wirklichen Einstieg in eine Sozialversicherung für alle vorsehen. Wir fordern hier dringend eine Weichenstellung, etwa was eine Einbeziehung wirklich aller in die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung angeht. Das fehlt und das hat mich schwer enttäuscht.
Welche sozialpolitische Baustelle ist die dringlichste? Bentele: Die Armutsbekämpfung als übergeordnetes Ziel. Das ist für uns das zentrale Thema. Da soll zwar laut Sondierungspapier etwas getan werden, etwa durch eine Kindergrundsicherung. Hinzu muss aber noch mehr kommen, etwa die Überarbeitung der Hartz-IV-Regelsätze. Aus dem Papier erfährt man noch nicht ausreichend, was nun tatsächlich hinter dem Bürgergeld steckt, das die bisherige Hartz-IV-Grundsicherung ablösen soll. Zudem fehlen Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentner.
Und was ist mit dem Pflegeund Gesundheitsbereich, in dem es einen eklatanten Fachkräftemangel gibt? Bentele: Der wird nach meiner Auffassung in dem Sondierungspapier bislang auch nicht ausreichend bedacht.
Wenn da wieder von einer breiten Offensive zur Gewinnung von Pflegekräften die Rede ist, dann frage ich mich: Die wievielte Offensive ist das eigentlich? Noch kann ich nicht daran glauben, dass eine solche Offensive diesmal die Lösung bringen wird. Es wäre sehr viel wichtiger gewesen, auch hier eine echte Reform anzustoßen, etwa mit der Zusammenlegung der gesetzlichen und privaten Pflegeversicherung, um mehr Geld ins System zu bekommen. Wirkliche Erleichterungen braucht es darüber hinaus vor allem für die häusliche Pflege und hier für die pflegenden Angehörigen. Das sehe ich bislang überhaupt noch nicht in den Plänen der drei Parteien. Da muss viel nachgearbeitet werden.
Wo soll das Geld für einen Ausbau der Sozialpolitik herkommen?
Bentele: Es ist eine riesige Enttäuschung, dass letztlich eine finanzielle Entlastung für 90 Prozent der Menschen nicht kommen wird, weil man nicht an der Einnahmen-Schraube drehen will – etwa beim Spitzensteuersatz, der Vermögensoder der Erbschaftssteuer. Für unsere 2,1 Millionen Mitglieder und viele andere Menschen ist das schlimm, weil sie diese Entlastungen dringend brauchen.