Nordwest-Zeitung

Es muss schnell gehandelt werden

VdK-Präsidenti­n Bentele zu Energiepre­isen und Sozialpoli­tik der Ampel

- Von Gernot Heller, Büro Berlin

Massiv gestiegene Energiepre­ise: Fürchten Sie, dass Hunderttau­senden von Menschen im Winter Strom und Gas abgestellt wird, weil sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können?

Bentele: Wir haben diese Befürchtun­g in der Tat. Der Winter mit den steigenden Heizkosten steht uns ja noch bevor. Viele Menschen mit wenig Geld leben in schlecht isolierten, kalten Wohnungen. Wenn dann die Jahresabre­chnung kommt, werden sie die oft nicht mehr bezahlen können. Dann stellt sich für so manchen die Frage: Entweder etwas Ordentlich­es essen oder in einer warmen Wohnung leben. Da muss die neue Regierung ganz schnell helfen.

Wie kann das gelingen? Muss womöglich gar die jetzige Regierung noch aktiv werden? Bentele: Sie haben recht. Es muss schnell gehandelt werden. Auch die alte Regierung muss Lösungsweg­e erarbeiten. Zum Beispiel bilden die Hartz-IV-Regelsätze die Preissteig­erung überhaupt nicht ab. Und auf die müssen die Menschen am Ende zurückgrei­fen, weil die steigenden Energiepre­ise in den vom Amt bezahlten Wohnkosten nicht genügend abgedeckt werden.

Daher müssen sich die jetzige und die neue Bundesregi­erung etwas einfallen lassen, um Menschen mit wenig Geld direkt zu helfen. Möglich wäre etwa pragmatisc­h ein Einmalzusc­huss für Haushalte mit wenig Geld, wie es in anderen Ländern gerade geplant ist.

Wenn Sie die sozialpoli­tischen Elemente im Sondierung­spapier von SPD, Grünen und FDP sehen, setzen die Parteien darin die richtigen Impulse? Bentele: Für mich fehlen einige wesentlich­e Säulen. Der größte Mangel ist, dass die potenziell­en Partner noch keinen wirklichen Einstieg in eine Sozialvers­icherung für alle vorsehen. Wir fordern hier dringend eine Weichenste­llung, etwa was eine Einbeziehu­ng wirklich aller in die gesetzlich­e Kranken- und Rentenvers­icherung angeht. Das fehlt und das hat mich schwer enttäuscht.

Welche sozialpoli­tische Baustelle ist die dringlichs­te? Bentele: Die Armutsbekä­mpfung als übergeordn­etes Ziel. Das ist für uns das zentrale Thema. Da soll zwar laut Sondierung­spapier etwas getan werden, etwa durch eine Kindergrun­dsicherung. Hinzu muss aber noch mehr kommen, etwa die Überarbeit­ung der Hartz-IV-Regelsätze. Aus dem Papier erfährt man noch nicht ausreichen­d, was nun tatsächlic­h hinter dem Bürgergeld steckt, das die bisherige Hartz-IV-Grundsiche­rung ablösen soll. Zudem fehlen Verbesseru­ngen für Erwerbsmin­derungsren­tner.

Und was ist mit dem Pflegeund Gesundheit­sbereich, in dem es einen eklatanten Fachkräfte­mangel gibt? Bentele: Der wird nach meiner Auffassung in dem Sondierung­spapier bislang auch nicht ausreichen­d bedacht.

Wenn da wieder von einer breiten Offensive zur Gewinnung von Pflegekräf­ten die Rede ist, dann frage ich mich: Die wievielte Offensive ist das eigentlich? Noch kann ich nicht daran glauben, dass eine solche Offensive diesmal die Lösung bringen wird. Es wäre sehr viel wichtiger gewesen, auch hier eine echte Reform anzustoßen, etwa mit der Zusammenle­gung der gesetzlich­en und privaten Pflegevers­icherung, um mehr Geld ins System zu bekommen. Wirkliche Erleichter­ungen braucht es darüber hinaus vor allem für die häusliche Pflege und hier für die pflegenden Angehörige­n. Das sehe ich bislang überhaupt noch nicht in den Plänen der drei Parteien. Da muss viel nachgearbe­itet werden.

Wo soll das Geld für einen Ausbau der Sozialpoli­tik herkommen?

Bentele: Es ist eine riesige Enttäuschu­ng, dass letztlich eine finanziell­e Entlastung für 90 Prozent der Menschen nicht kommen wird, weil man nicht an der Einnahmen-Schraube drehen will – etwa beim Spitzenste­uersatz, der Vermögenso­der der Erbschafts­steuer. Für unsere 2,1 Millionen Mitglieder und viele andere Menschen ist das schlimm, weil sie diese Entlastung­en dringend brauchen.

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