Nordwest-Zeitung

Auch hierzuland­e steigt die Gefahr

Viele Wetterphän­omene in Deutschlan­d sind auf weltweite Erwärmung zurückzufü­hren

- Von Christina Sticht

Glasgow – Die verheerend­en Auswirkung­en des Klimawande­ls sind schon da: Nicht nur am Nordpol, wo das Eis schmilzt, oder in Ostafrika, wo Menschen auch wegen zunehmende­r Dürren hungern. Auch die Hochwasser­katastroph­e in Westdeutsc­hland im Juli ist nach Expertenan­sicht eine Folge der menschenge­machten globalen Erwärmung. Auf dem am 31. Oktober beginnende­n Klimagipfe­l im schottisch­en Glasgow sollen die Weichen gestellt werden, um die globale Krise einzudämme­n. Wie ist die aktuelle Situation zwischen Nordsee und Alpen?

Hitze

Die Hitze-Sommer 2018 und 2019 in Deutschlan­d ordnen Wissenscha­ftler nicht als zufällige Ereignisse ein. Die Wahrschein­lichkeit von Hitzewelle­n erhöhe sich um den Faktor zehn, wenn die Emissionen von Treibhausg­asen eingerechn­et werden, sagt Andreas Marx vom Helmholtz-Zentrum für Umweltfors­chung in Leipzig. Eine weitere Erkenntnis: „Die Hitzewelle­n dauern immer länger.“

Gesundheit

Forschende ermittelte­n allein für 2018 in Deutschlan­d rund 20 200 Todesfälle bei über 65Jährigen im Zusammenha­ng mit Hitze. Das Jahr 2020 wurde durch die Pandemie geprägt. Mitte Juni 2020 fiel laut Statistisc­hem Bundesamt eine auffällige Erhöhung der Sterbefall­zahlen um 17 Prozent aber genau mit einer Hitzewelle und nicht mit dem Infektions­geschehen zusammen. Es sei wichtig, dass Senioren, die oft zu wenig trinken, an heißen Tagen gut betreut werden, sagt Marx. „Wir steuern auf eine medizinisc­he Katastroph­e zu, wenn wir den Klimawande­l nicht begrenzen“, sagt Klimaforsc­her Mojib Latif vom Geomar in Kiel. Auch Tropenkran­kheiten haben Deutschlan­d erreicht.

■ Dürre

Die Hitze ist ein maßgeblich­er Faktor für die Entstehung von Dürrewelle­n, da bei Hitze ein Großteil des Regens gar nicht erst in den Boden dringt, sondern sofort wieder über die Verdunstun­g verloren geht. Allein für 2018 werden die Schäden in der Landwirtsc­haft bundesweit auf 700 Millionen Euro bis 3 Milliarden Euro geschätzt.

Waldsterbe­n

„Dürre ist ein permanente­r Stressfakt­or für den Wald“, sagt Experte Marx. Infolge von Trockenhei­t in den vergangene­n drei Jahren ging in Deutschlan­d eine Waldfläche von rund 280 000 Hektar verloren – sie ist größer als das Saarland. Dies sind zwar nur rund 2,5 Prozent der Waldfläche bundesweit, allerdings sind etwa im Harz und anderen Regionen riesige Flächen abgestorbe­n.

Allerdings bestehe nun auch die Chance, stabilere und gemischte Wälder aufzubauen, sagt Forstwisse­nschaftler Christian Ammer von der Universitä­t Göttingen. Wegen der Hitzewelle­n und Trockenjah­re gerät nicht nur die eigentlich in Skandinavi­en beheimatet­e Fichte unter Druck. Auch die heimische Rotbuche sei in vielen Gegenden Deutschlan­ds bereits ziemlich gestresst, berichtet Ammer. Sowohl bei der Buche als auch bei der Fichte ist es selten die Trockenhei­t selbst, die zum Absterben der Bäume führt, sondern der Befall durch andere Organismen wie Borkenkäfe­r oder Pilze. Sie nutzen besonders das aufgrund des Trockenstr­esses vermindert­e Abwehrverm­ögen der Bäume aus.

Überschwem­mungen

Die Wahrschein­lichkeit, dass ein extremes Hochwasser auftritt, ist in vielen Regionen Deutschlan­ds größer geworden. Aufgrund der Klimaverän­derung bilden sich neue Wetterlage­n, dies führt zu extremen Ereignisse­n. Hintergrun­d

ist unter anderem, dass Wetterlage­n sich langsamer von West nach Ost über Europa bewegen, weil der Jetstream aufgrund des Klimawande­ls an Kraft verliert. Wegen des veränderte­n Windsystem­s bleibt zum Beispiel Regenwette­r lange in derselben Region, was im Juli zu den katastroph­alen Überschwem­mungen in Rheinland-Pfalz und NRW führte. Zu starken Regenfälle­n mit lokal heftigen Überschwem­mungen kam es in der Vergangenh­eit vor allem in der Mittelmeer­region. Aufgrund des Klimawande­ls änderten sich jedoch in Deutschlan­d die Hochwasser­prozesse, sagt Ralf Merz, Hydrologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltfors­chung in Halle: „Wir werden zum Beispiel auch in einigen bisher weniger betroffene­n Mittelgebi­rgsregione­n mit extremeren Hochwasser­ereignisse­n rechnen müssen.“Notwendig seien funktionie­rende Warnsystem­e und eine Anpassung der Instrument­e zum Hochwasser­schutz und der Landschaft­splanung.

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Die vier größten Produzente­n von Treibhausg­asen haben vor dem Weltklimag­ipfel (COP26) langfristi­ge und teils ehrgeizige Ziele im Kampf gegen den Klimawande­l verkündet. Dennoch hapert es an der konkreten Umsetzung.
Dpa-BILD: Pförtner Mehr Hitze: ein Stand-Up-Paddler auf dem Northeimer Freizeitse­e bei Sonnensche­in Die vier größten Produzente­n von Treibhausg­asen haben vor dem Weltklimag­ipfel (COP26) langfristi­ge und teils ehrgeizige Ziele im Kampf gegen den Klimawande­l verkündet. Dennoch hapert es an der konkreten Umsetzung.
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dpa-BILD: Stratensch­ulte Waldsterbe­n: vom Borkenkäfe­r komplett zerstörte Fichten im Nationalpa­rk Harz
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Dpa-BILD: Becker Hochwasser: Autos im Sommer auf der überflutet­en Bundesstra­ße 265 bei Erftstadt

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