Würdiger Abschied vom Ort der Ankunft
Ensemble „Das letzte Kleinod“inszeniert „Passenger Processing“im Columbusbahnhof
Bremerhaven – Eine Seefahrt, die ist lustig, eine Seefahrt, die ist schön – der Gassenhauer aus den Dreißigerjahren muss wohl von einer Landratte getextet worden sein. Die an der Kaje tätigen Menschen sehen das möglicherweise anders, denn das rege Treiben hat nicht nur mit Arbeit zu tun, sondern wird von großen, oft widersprüchlichen Gefühlen begleitet. Vom Ankommen und Abfahren handelt die herausragende Inszenierung „Passenger Processing – Passageabfertigung“, die im Columbusbahnhof in Bremerhaven ihre Premiere erlebte und dort noch bis zum 14. November zu sehen ist.
Seit vielen Jahren inszeniert die im Landkreis Cuxhaven beheimatete Künstlergruppe „Das Letzte Kleinod“bemerkenswerte Orte und deren Geschichten. Das war schon mal ein ausrangierter Kohlezug, eine unbewohnte Insel, ein Tiefkühlhaus – oder aktuell eine prominente Hafenkaje –, die zum Schauplatz außergewöhnlicher Theatervorstellungen wurden. Ältere Leser werden sich daran erinnern, dass die Atlantikpassage damals bevorzugt mit dem Ozeandampfer und nicht mit dem Flugzeug absolviert wurde. Und so wurde der Bremer Hafen in Bremerhaven weltweit bekannt.
Flucht ins Exil
Im Jahr 1927 wurde die Columbuskaje zusammen mit dem Columbusbahnhof fertiggestellt. Eher dramatisch verlief die Seefahrt in den Dreißigerjahren, da sie für Andersdenkende und Verfolgte oft mit Flucht aus Nazideutschland und Exil in Übersee verbunden war. Andere gingen im letzten Hemd mit leeren Taschen, in der Hoffnung, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen.
Zurück blieben die Menschen von der Küste, die an der Fahrgastanlage ihrem Tagwerk nachgingen. Von den Rädchen dieser geölten Reisemaschinerie handelt die Inszenierung: Festmacher, Zollbeamte, Schiffsagenten, Köchinnen und Taxifahrer sorgten für die reibungslose Abfertigung der Passagiere. Das Dokumentartheater macht Räumlichkeiten zugänglich, welche Reisende sonst nie zu Gesicht bekamen, und nach dem Abriss im kommenden Jahr niemals mehr erleben werden.
Seltene Einblicke
Das Ensemble, bestehend aus Schauspielerinnen und Zeitzeugen, führt an die originalen Schauplätze zurück. Die Proben begannen mit Entdeckungsreisen durch das weitläufige Gebäude: vom Heizungskeller in die Küche und von der Gepäckabfertigung in den Speisesaal und die Hafenkneipe. Auf diesen Erkundungen wurden Requisiten für die Inszenierung gesichert, alles ist echt. Die szenischen Darstellungen, zum Teil mit sensationeller Choreographie, geben an verschiedenen Stationen ein authentisches Bild.
Am Ende der spannenden und kurzweiligen 90 Minuten gibt’s Freibier und Live-Musik samt „Muss i denn“, den Titel, den Elvis Presley im Anschluss seiner Armeezeit als „Wooden Heart“aufnahm. Und dass der „King of Rock’n’Roll“am 1. Oktober 1958 von New York kommend auf dem Truppentransporter USS General Randall hier einen Katzensprung entfernt an der Columbuskaje von Bord ging, gehört zur ganzen Geschichte von Ankunft und Abschied.