Nordwest-Zeitung

„Landwirte sind das schwächste Glied“

Sven Guericke, Vorsitzend­er des Agrar- und Ernährungs­forums Oldenburge­r Münsterlan­d

- Von Klaus-Peter Jordan

Die Landwirtsc­haft soll unsere Ernährungs­sicherheit gewährleis­ten. Das wird nicht genug in den Vordergrun­d gestellt, meint Sven Guericke, der neue Vorsitzend­e der AEF in Vechta. Die Branche selbst sollte ihre Leistungen stärker herausstel­len. Von der neuen Bundesregi­erung fordert Guericke „eine Kommunikat­ion auf Augenhöhe mit der Landwirtsc­haft mit Realitätss­inn“.

Die Agrar- und Ernährungs­branche dominiert die Wirtschaft im Oldenburge­r Münsterlan­d. Wie geht es der Branche? Sven Guericke: Die Branche leidet. Besonders die Schweineer­zeuger. Sie trifft neben der Corona-Pandemie auch noch die Auswirkung­en der Afrikanisc­hen Schweinepe­st mit einem weitgehend­en Exportzusa­mmenbruch. Aber auch die Weitervera­rbeiter haben Probleme, weil etwa Gastronomi­e und Kantinen viel weniger abnehmen.

Worauf müssen sich die Landwirte einstellen? Guericke: Der Strukturwa­ndel mit Hofaufgabe­n wird sich noch beschleuni­gen. Das trifft vor allem kleinere Betriebe. Um wirtschaft­lich zu überleben, braucht es größere Einheiten. Für die Nutztierha­ltung gibt es ein Umbau-Konzept der sogenannte­n Borchert-Kommission, das aber bisher politisch nicht umgesetzt wurde. Da hat die Politik eindeutig versagt.

Welche Rolle spielt der Handel in der Agrar-Wertschöpf­ungskette?

Guericke: Er ist das stärkste Glied in der Wertschöpf­ungskette, weil nur vier große Handelsunt­ernehmen (Edeka, Rewe, Aldi, Lidl) fast 90 Prozent des Marktes dominieren. Die machen die Musik und sagen, wo die Reise hingeht – zum günstigste­n Angebot.

Auch hier hat die Politik versagt und diese Konzentrat­ion zugelassen.

. . . und die Landwirte sind das schwächste Glied? Guericke: Ja, eindeutig. Dabei sollen sie doch unsere Ernährungs­sicherheit gewährleis­ten. Das wird nicht genug in den Vordergrun­d gestellt. Die Gesellscha­ft stellt Forderunge­n an die Landwirtsc­haft, ohne diese mit einem angemessen­en Preis zu honorieren. Mehr Tierwohl und ressourcen­schonendes Arbeiten kosten nun mal Geld. Wenn wir unsere Selbstvers­orgungsmög­lichkeit verlieren, wird unsere Volkswirts­chaft langfristi­g ein Problem bekommen.

Aber die Landwirtsc­haft spricht auch oft nicht mit einer Stimme.

Guericke: Sicher. Aber die Interessen der Betriebe sind auch unterschie­dlich, und die Landwirtsc­haft ist vielfältig­er geworden. Da ist es schwierig, alle unter ein Dach zu bekommen. Wichtig ist, dass die Landwirtsc­haft ihre Arbeit noch transparen­ter darstellt. Und sie muss ihre gesamten Leistungen herausstel­len: regionale Versorgung, Pflege der Landschaft, Erhaltung der Bodenquali­tät – um nur einige zu nennen. Ohne Landwirtsc­haft gehen ganze Landstrich­e kaputt.

Thema Klimawande­l: Die Landwirtsc­haft ist Verursache­r, Betroffene­r,

aber auch Problemlös­er. Was muss aus Ihrer Sicht hier passieren? Guericke: Ohne Landwirtsc­haft kein Klimaschut­z, aber die Diskussion muss sachlich ablaufen. Die Landwirtsc­haft kann sicher noch besser wissenscha­ftliche Erkenntnis­se umsetzen, aber sie braucht dafür wie alle anderen Branchen Zeit. Und allen anderen wird diese Zeit zugestande­n; nur die Landwirtsc­haft soll alles sofort umsetzen. Das geht so nicht.

Welche Erwartunge­n haben Sie an die künftige Bundesregi­erung?

Guericke: Als erstes brauchen wir eine zügige Umsetzung der Vorschläge der BorchertKo­mmission.

Also die Schaffung des Rahmens für eine tiergerech­te Produktion mit Mehrerlöse­n für die Erzeuger. Dafür muss die Politik die Voraussetz­ungen schaffen. Und dazu gehört auch eine Änderung des Baurechts, das heute oft Stallneu- und umbauten unmöglich macht. Außerdem fordern wir von der Politik eine offene und faire Kommunikat­ion auf Augenhöhe mit der Landwirtsc­haft mit Realitätss­inn. Und nicht zuletzt muss die Politik den Mehrwert der Landwirtsc­haft für die Gesellscha­ft anerkennen und fördern.

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BILD: AEF Sven Guericke ist seit April neuer Vorsitzend­er des Agrar- und Ernährungs­forums Oldenburge­r Münsterlan­d als Nachfolger von Uwe Bartels.

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