„Landwirte sind das schwächste Glied“
Sven Guericke, Vorsitzender des Agrar- und Ernährungsforums Oldenburger Münsterland
Die Landwirtschaft soll unsere Ernährungssicherheit gewährleisten. Das wird nicht genug in den Vordergrund gestellt, meint Sven Guericke, der neue Vorsitzende der AEF in Vechta. Die Branche selbst sollte ihre Leistungen stärker herausstellen. Von der neuen Bundesregierung fordert Guericke „eine Kommunikation auf Augenhöhe mit der Landwirtschaft mit Realitätssinn“.
Die Agrar- und Ernährungsbranche dominiert die Wirtschaft im Oldenburger Münsterland. Wie geht es der Branche? Sven Guericke: Die Branche leidet. Besonders die Schweineerzeuger. Sie trifft neben der Corona-Pandemie auch noch die Auswirkungen der Afrikanischen Schweinepest mit einem weitgehenden Exportzusammenbruch. Aber auch die Weiterverarbeiter haben Probleme, weil etwa Gastronomie und Kantinen viel weniger abnehmen.
Worauf müssen sich die Landwirte einstellen? Guericke: Der Strukturwandel mit Hofaufgaben wird sich noch beschleunigen. Das trifft vor allem kleinere Betriebe. Um wirtschaftlich zu überleben, braucht es größere Einheiten. Für die Nutztierhaltung gibt es ein Umbau-Konzept der sogenannten Borchert-Kommission, das aber bisher politisch nicht umgesetzt wurde. Da hat die Politik eindeutig versagt.
Welche Rolle spielt der Handel in der Agrar-Wertschöpfungskette?
Guericke: Er ist das stärkste Glied in der Wertschöpfungskette, weil nur vier große Handelsunternehmen (Edeka, Rewe, Aldi, Lidl) fast 90 Prozent des Marktes dominieren. Die machen die Musik und sagen, wo die Reise hingeht – zum günstigsten Angebot.
Auch hier hat die Politik versagt und diese Konzentration zugelassen.
. . . und die Landwirte sind das schwächste Glied? Guericke: Ja, eindeutig. Dabei sollen sie doch unsere Ernährungssicherheit gewährleisten. Das wird nicht genug in den Vordergrund gestellt. Die Gesellschaft stellt Forderungen an die Landwirtschaft, ohne diese mit einem angemessenen Preis zu honorieren. Mehr Tierwohl und ressourcenschonendes Arbeiten kosten nun mal Geld. Wenn wir unsere Selbstversorgungsmöglichkeit verlieren, wird unsere Volkswirtschaft langfristig ein Problem bekommen.
Aber die Landwirtschaft spricht auch oft nicht mit einer Stimme.
Guericke: Sicher. Aber die Interessen der Betriebe sind auch unterschiedlich, und die Landwirtschaft ist vielfältiger geworden. Da ist es schwierig, alle unter ein Dach zu bekommen. Wichtig ist, dass die Landwirtschaft ihre Arbeit noch transparenter darstellt. Und sie muss ihre gesamten Leistungen herausstellen: regionale Versorgung, Pflege der Landschaft, Erhaltung der Bodenqualität – um nur einige zu nennen. Ohne Landwirtschaft gehen ganze Landstriche kaputt.
Thema Klimawandel: Die Landwirtschaft ist Verursacher, Betroffener,
aber auch Problemlöser. Was muss aus Ihrer Sicht hier passieren? Guericke: Ohne Landwirtschaft kein Klimaschutz, aber die Diskussion muss sachlich ablaufen. Die Landwirtschaft kann sicher noch besser wissenschaftliche Erkenntnisse umsetzen, aber sie braucht dafür wie alle anderen Branchen Zeit. Und allen anderen wird diese Zeit zugestanden; nur die Landwirtschaft soll alles sofort umsetzen. Das geht so nicht.
Welche Erwartungen haben Sie an die künftige Bundesregierung?
Guericke: Als erstes brauchen wir eine zügige Umsetzung der Vorschläge der BorchertKommission.
Also die Schaffung des Rahmens für eine tiergerechte Produktion mit Mehrerlösen für die Erzeuger. Dafür muss die Politik die Voraussetzungen schaffen. Und dazu gehört auch eine Änderung des Baurechts, das heute oft Stallneu- und umbauten unmöglich macht. Außerdem fordern wir von der Politik eine offene und faire Kommunikation auf Augenhöhe mit der Landwirtschaft mit Realitätssinn. Und nicht zuletzt muss die Politik den Mehrwert der Landwirtschaft für die Gesellschaft anerkennen und fördern.