Erdogan signalisiert Entspannung
Türkischer Präsident nimmt Drohung gegen die Botschafter von zehn Staaten zurück
Ankara – Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist in seinem Element. Er hat Deutschland, Europa und die USA provoziert – und sie haben aus seiner Sicht eingelenkt.
Die zehn Botschafter, deren Ausweisung Erdogan vor ein paar Tagen noch angeordnet hatte, können bleiben. Sie hätten „vor der Verleumdung unserer Justiz und unseres Landes kehrtgemacht“, so Erdogans Sicht auf die Dinge am Montagabend. Er glaube daran, dass die Botschafter in Zukunft „vorsichtiger“sein werden, fügte er hinzu.
Den Ausweg aus dieser Krise hatten ihm zuvor die betroffenen Diplomaten selbst geliefert. Unter anderem die US-Botschaft in Ankara twitterte, man halte sich weiter an Artikel 41 des Wiener Übereinkommens. Der weist Diplomaten etwa an, sich nicht in innere Angelegenheiten des Empfangsstaats einzumischen. Es ist eine Annäherung, obwohl Erdogan auch am Montag die Drohkulisse aufrecht erhielt: „Die türkische Justiz nimmt keine Anweisungen an und ordnet sich niemandem unter“, betonte er. Wer die Unabhängigkeit der Türkei und die Empfindsamkeiten der Türken nicht respektiere, werde in dem Land nicht Willkommen geheißen.
■ Das Risiko
Mit seiner Drohung, den deutschen Botschafter Jürgen Schulz und neun weitere Diplomaten auszuweisen, hat Erdogan viel riskiert. Ein solcher Schritt hätte unvermeidlich zur schwersten diplomatischen Krise seit langem mit Deutschland, Europa und den
USA geführt – und das kurz vor dem G20 Gipfel in Rom. Was treibt den türkischen Präsidenten?
■ Osman Kavala
Der seit 2017 inhaftierte Kavala (64) ist seit langem ein rotes Tuch für Erdogan. Der Philantrop stammt aus einer reichen Unternehmerfamilie. Er finanziert zivilgesellschaftliche Projekte, die sich für Minderheiten und kulturelle Verständigung einsetzen und arbeitet dabei auch mit Europa zusammen. Für Erdogan ist Kavala Teil einer ausländischen Verschwörung mit dem Ziel, ihn zu stürzen. Seit Jahren muss Kavala wegen immer neuer Anschuldigungen in Untersuchungshaft bleiben. Ihm werden ein Umsturzversuch sowie politische und militärische Spionage vorgeworfen.
Mit ihrer schriftlichen Erklärung von vergangener Woche pochen die Botschafter auf die Einhaltung eines Urteils vom Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Der hatte schon 2019 Kavalas Freilassung gefordert, die Türkei setzt das Urteil aber nicht um. Erdogan hätte die Botschafter-Erklärung ignorieren können. Aber er entschied sich von Anfang an dagegen, ließ die Diplomaten zuerst ins
Außenministerium einbestellen und drohte am Donnerstag schon indirekt mit einer Ausweisung.
■ Ablenkungsmanöver?
Beobachter sehen dahinter auch das Ziel, mit einer außenpolitischen Krise von Problemen im eigenen Land abzulenken. Der Präsident fällt in Umfragen immer weiter zurück. Seine Partei, die islamisch-konservative AKP, hätte auch mit der ultranationalistischen MHP bei einer Wahl keine Mehrheit mehr. Die Wirtschaft schwächelt. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu warf Erdogan am Samstag vor, die Wirtschaftskrise, die er zu verantworten habe, anderen in die Schuhe schieben zu wollen. An seiner Haltung in Sachen Kavala hatte zuletzt auch die Kritik innerhalb der Türkei deutlich zugenommen.