Gallier brechen mit mancher Tradition
Autor dieses Beitrages ist Michael Sommer. Der gebürtige Bremer ist Professor für Alte Geschichte an der Uni Oldenburg und Vorsitzender des Philosophischen Fakultätentages, der Interessenvertretung der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer in Deutschland. @Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de
Welcher Band der beste ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Für viele ist es der „Arvernerschild“, etliche nennen „Asterix als Legionär“, manchem gefällt auch der Besuch der gallischen Helden bei unseren Schweizer Nachbarn am besten. Der am vergangenen Donnerstag erschienene Neuzugang zur Reihe, der den Titel „Asterix und der Greif“trägt, dürfte es schwer haben, auf die Favoritenliste zu gelangen.
Am Ende feiern die Bewohner des kleinen, uns wohlbekannten gallischen Dorfes ihr übliches Gelage. Sonst aber brechen die Heftmacher Jean-Yves Ferri und Didier Conrad mit so mancher Tradition, durch die meiner Generation die AsterixAbenteuer so ans Herz gewachsen sind.
Gewisse Düsternis
Dass die Piraten diesmal mit heiler Haut davonkommen, wollen wir Ferri und Conrad durchgehen lassen. Auch daran, dass die Comics optisch einen dunkleren Farbstich tragen als die von Uderzo gezeichneten Klassiker, haben wir uns längst gewöhnt. Neu ist, dass die Story selbst eine gewisse Düsternis atmet, die sich spürbar absetzt vom heiteren Optimismus, der doch stets der Markenkern der Reihe war.
Zum ersten Mal sterben in einem Asterix-Band mutmaßlich Menschen. Legionäre, die über eine selbstkonstruierte Brücke marschieren, stürzen in einen reißenden Fluss, als Obelix einen monströsen Felsbrocken in die Fluten wirft. Muss das sein? Längst ist die Fangemeinde der Gallier dem Kindesalter entwachsen, doch war gerade die Harm- und Folgenlosigkeit der Prügeleien stets auch eine Art implizite Gebrauchsanleitung für die Comics: Hier wird nicht ernstgemacht, die Gallier wollen nur spielen.
Schauplatz des Reiseabenteuers ist das Sarmatenland tief im Osten der antiken Ökumene. Gleich zu Beginn sehen wir Asterix, Obelix und Miraculix endlose Weiten durchqueren, auf einem Schlitten, denn bei den Sarmaten ist es bitterkalt und überall liegt Schnee. Ringsum heulen die Wölfe. Als die Gallier im Dorf von Miraculix’ Freund und Kollegen, dem Schamanen Terrine, eintreffen und dort
Amazonen mit so schönen Namen wie Matrjoschkowa und Kalaschnikowa begegnen, ist klar: Wir befinden uns in einer frühen Version von Mütterchen Russland.
Genau wie im Reich des modernen Zaren Putin herrschen bei den Sarmaten raue Sitten. In den Krieg ziehen die Frauen, während die Männer Heim und Herd hüten. Krieg ist eine viel zu ernste Angelegenheit, als dass man sie den Männern überlassen könnte, das macht Matrjoschkowa, die im Dorf das Sagen hat, Asterix gleich zu Beginn klar. Auch von der „gallischen Diplomatie“hält man bei den Sarmaten wenig, wenn es darum geht, den Gegner zu stoppen.
Das sind, natürlich, wieder einmal die Römer. Sie befinden sich, weil Cäsar es so will, auf der Suche nach dem Greif, einer mythischen Figur, die ein griechischer Reisender namens Rigoros von Migraene beschrieben hat. Die Anführer der ins Sarmatenland ausgeschickten Streitmacht – der als Michel Houellebecq gezeichnete, ganz und gar wissenschaftsgläubige Geograph Globulus, der eher einfältige
Gladiator Ausdiemaus und der so bärbeißige wie inkompetente Zenturio Brudercus – verfolgen ihre eigene Agenda und sind heillos zerstritten. Und im Heer setzt ein Legionär mit dem sprechenden Namen Fakenius unentwegt Verschwörungstheorien in Umlauf, mit denen er die Autorität der Anführer noch weiter untergräbt, falls das überhaupt möglich ist.
Die Expedition gerät deshalb vorhersehbar zum Fiasko. Der Greif entpuppt sich als Chimäre, und die Römer werden zu Opfern des unerbittlichen russischen Winters. Asterix, Obelix und Miraculix erleben das Abenteuer eigentlich nur als Zaungäste. Sie sitzen, weil der Zaubertrank eingefroren ist, buchstäblich auf dem Trockenen, und nicht einmal zur Befreiung der Geisel Kalaschnikowa ist ihre Hilfe nötig – die hat sich ihren römischen Bewachern nämlich ganz von selbst entwunden.
Peinlicher Wortwitz
Nicht nur der Plot, auch der Wortwitz, früher die große Stärke der Reihe, ist gegenüber den von Goscinny getexteten und von der unvergleichlichen Gudrun Penndorf übersetzten Highlights der Reihe spürbar abgeflacht. Wenn etwa Matrjoschkowa als Chefin für externe Operationen (kurz: CEO) tituliert wird, dann ist das nicht lustig, sondern peinlich.
Bei aller Kritik: Dass Ferri und Conrad den Klassiker neu interpretieren, ist nicht verwerflich, sondern folgerichtig. Ein bloßes Weiter-so hätte sich angesichts der zuletzt katastrophalen, von Uderzo allein verantworteten Bänden, sowieso verboten. Man sollte dem jungen Team zugutehalten, dass sie ihren Asterix erst noch finden müssen. Auch Goscinny und Uderzo haben dazu etliche Bände gebraucht. Wie sagt Majestix so schön? „Noch ist nicht aller Tage Abend.“
Jean-Yves Ferri (Text) und Didier Conrad (Zeichnungen): „Asterix und der Greif“, Band 39; Egmont-Verlag 2021; 6,90 Euro.