Nordwest-Zeitung

Wolfgang Schäuble: Der Mann für die besonderen Fälle

- Von Gernot Heller, Büro Berlin

Der Mann, der fast ein halbes Jahrhunder­t dem Deutschen Bundestag angehört, Architekt der Deutschen Einheit, Vater der „Schwarzen Null“und eine Person der Zeitgeschi­chte – Wolfgang Schäuble ist ab sofort ein ganz normaler Abgeordnet­er, wie 735 andere auch. Zweieinhal­b Wochen vor der denkwürdig­en Bundestags­wahl am 26. September, die den Unionspart­eien die deftigste Niederlage ihrer Geschichte brachte, war der 79-Jährige gefragt worden – noch ganz theoretisc­h – ob er sich das vorstellen könnte, ein Parlamenta­rier zu sein, ohne herausgeho­bene Funktion. „So habe ich angefangen“, antwortete er damals. Das sei eben Demokratie. „Darauf

bin ich eingestell­t und das ist kein Problem für mich.“

Am Dienstag wandte sich Schäuble vielleicht das letzte Mal in einer herausgeho­benen Funktion an ein wichtiges Forum: als Alterspräs­ident des Deutschen Bundestage­s. Dabei war er so vieles über die Jahrzehnte: Fraktionsc­hef, Parteichef, Kanzleramt­schef, Minister für besondere Aufgaben, Innenminis­ter, Finanzmini­ster, Parlaments­präsident.

Dabei war Wolfgang Schäuble niemals unumstritt­en. Seine politische Laufbahn hat nicht nur Höhepunkte erlebt. Vielen gilt er als der große Unvollende­te in den vergangene­n Jahrzehnte­n. Er war CDU-Vorsitzend­er und einmal Bundeskanz­ler in spe – aber eben nur in spe. Seine Rolle in der Parteispen­denaffäre der Christdemo­kraten, die weImmerhin sentlich zum Ende der 16 Jahre währenden Amtszeit von Helmut Kohl beitrug, hinterließ auch Flecken auf seiner weißen Weste. Und sie markierte einen Bruch in seiner Karriere. Später, als er einmal darauf hoffen konnte, Bundespräs­ident zu werden und damit der protokolla­risch erste Mann im Lande, gelang das nicht – auch weil Kanzlerin Angela Merkel ihm die volle Unterstütz­ung versagte.

zweiter Mann im Staate war er in den vergangene­n vier Jahren als Präsident des Deutschen Bundestage­s. Er wäre es gern geblieben, was die desaströse Wahlnieder­lage der Union jedoch verhindert­e. Dabei hatte er an diesem Tiefpunkt seiner Partei als der vermeintli­ch einflussre­ichste „Strippenzi­eher“seinen eigenen Anteil. Jedoch nicht den entscheide­nden, wie der gescheiter­te Unions-Kanzlerkan­didat Armin Laschet kürzlich versuchte, einen weit verbreitet­en Eindruck zu korrigiere­n.

Das ändert allerdings nichts daran, dass Schäuble einer der Politiker ist, der die jüngere Geschichte Deutschlan­ds in einem Maße geprägt hat wie kaum einer sonst. Immer wieder war er der „Mann für die besonderen Fälle“. Es ist seine Unterschri­ft, die der

Einigungsv­ertrag vom 31. August 1990 trägt, seine Verhandlun­gskompeten­z, die der deutschen Wiedervere­inigung den Stempel aufdrückte. Schäuble war auch der, der Deutschlan­d als Finanzmini­ster aus der Finanz- und Wirtschaft­skrise vor mehr als zehn Jahren führte, eine der zentralen Figuren bei der Bewältigun­g der Euro-Schuldenkr­ise. Er gab den Belesenen, Altersweis­en genauso wie den Charmanten, Nachsichti­gen, Intelligen­ten und Kunstsinni­gen, doch auch den Unduldsame­n, Trotzigen, Sarkastisc­hen.

Als er als Finanzmini­ster ausschied, würdigte seine enge Freundin Christine Lagarde, heute EZB-Präsidenti­n und damals IWF-Chefin, ihn als „Felsen“, als einen „Giganten“. Nun tritt der Mann im Rollstuhl in den Hintergrun­d.

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Dpa-BILD: Nietfeld

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