Nordwest-Zeitung

„Ein offenes Ende erfordert Mut“

Bart Moeyaert ist Schirmherr der Oldenburge­r Kinder- und Jugendbuch­messe Kibum

- Von Nathalie Meng

Bart Moeyaert wollte eigentlich Tierarzt oder Försterwer­den, „irgendwas mit Natur“. Schreiben galt in seinem Elternhaus als Hobby. Heute ist der 57-jährige Belgier einer der wichtigste­n Kinder- und Jugendbuch­autoren Europas – und Schirmherr der Kibum 2021.

Sie sagten einmal, Kinder verstünden mehr von der Welt als wir denken. Ist das ein Problem in der Kinder- und Jugendlite­ratur, dass wir Kinder nicht ernst genug nehmen?

Bart Moeyaert: Es ärgert mich manchmal, wenn Erwachsene sagen, sie hätten noch nie etwas von mir gelesen, weil sie „richtige Bücher“lesen. Als ich 1995 „Bloße Hände“veröffentl­ichte, bat ich den Verlag, keine Altersanga­be zu machen. Das hat eine Diskussion ausgelöst: Ist das ein Kinderbuch, ein Jugendbuch, ein Erwachsene­nbuch – was denn nun?

Sie halten nichts von der Unterschei­dung nach Kinder-, Jugendoder Erwachsene­nbuch? Moeyaert: Ich kann viele Beispiele von Büchern nennen, die im Ausland ein Kinderbuch geworden sind und bei uns ein Erwachsene­nbuch, oder andersrum. Nach einer Lesung kam mal ein Mann zu mir, ihm hatte der Text, den ich las, gefallen. Er suchte ein Erwachsene­nbuch, fand aber nur ein Bilderbuch. Er fragte, ob ich das für sein Enkelkind signieren könne. In solchen Situatione­n sage ich immer: „Kaufen Sie doch zwei Bücher – eins für Ihr Enkelkind und eines für sich selbst, denn Sie mochten diese Geschichte doch offensicht­lich sehr.“

Sie sprechen in Ihren Büchern große Themen und Emotionen an, oft nur subtil. Manchmal versteht man gar nicht richtig, dass man das gerade versteht, aber man hat ein Gefühl dazu. Moeyaert: Das ist schön, dass Sie das sagen. Erwachsene sagen oft: „Aber das verstehen Kinder doch gar nicht!“Ich denke, sie verstehen das sehr wohl, aber wir können nicht alles ausdrücken und erklären.

Die großen Fragen, wenn auch implizit gestellt, kommen bei Ihnen oft vor. Darum geht es ja auch bei der Kibum in diesem Jahr. Inwiefern eignen sich philosophi­sche Fragen für Kinder? Moeyaert: Ich glaube, dass Kinder ein ungeheuer großes philosophi­sches Potenzial haben, weil sie anders als Erwachsene noch staunen können. Für Kinder gibt es noch viele Fragen, worüber sie nicht immer gern nachdenken, aber nachdenken wollen.

Ist es in der Kinder- und Jugendlite­ratur wichtiger Fragen zu stellen oder Antworten zu geben?

Moeyaert: Fragen zu stellen finde ich interessan­ter. Das Nachdenken über mögliche Antworten und weitere Fragen, die sich daraus ergeben können, empfinde ich als eine Art Sport. Offene Enden von Büchern erfordern Mut, weil

wir selbst ausfüllen müssen, was noch geschehen wird.

Wie wichtig ist Ehrlichkei­t in Kinderbüch­ern? Moeyaert: Sehr wichtig! Ehrlich bedeutet ja nicht respektlos, sondern: Ich sage klar, was ich meine, denke aber darüber nach, wie ich es hören wollen würde. Sicherlich kann man in einem Kinderbuch zum Thema Tod erzählen, dass wir alle Engel werden. Aber ich denke eben nicht, dass wir nach dem Tod Engel werden. Die Realität aufzeigen, aber schön verpackt – das finde ich gut.

Sie sind als jüngster von sieben Brüdern aufgewachs­en, darüber gibt es auch ein Buch. Wie sehr hat Ihre Familie Sie in Bezug auf das Schreiben geprägt?

Moeyaert: Leider nicht so sehr. Meine Mutter hat uns mitgegeben, dass wir das machen

sollen, was uns glücklich macht. Sie hatte trotzdem Sorge, dass ich nicht von meinen Büchern leben kann. Für meinen Vater galt Schriftste­ller nicht als richtiger Beruf. Das war für ihn ein Hobby. Er sagte: „Du wirst Lehrer und nebenbei schreibst du Bücher.“Nach seinem Tod fanden wir in seinem Büro 24 Mappen: Bart 1, Bart 2, Bart 3, bis 24. Die Mappen waren voller Artikel über mich und meine Bücher. Ich habe also erst nach seinem Tod erfahren, dass er unglaublic­h stolz war. Als er lebte, war es immer schwierig – das Buch war nicht gut genug, zu kurz, zu lang, nicht für Kinder und so weiter.

Das klingt sehr rührend, wie aus einem Buch oder Film. Moeyaert: (zeigt nach oben und lacht) Er hört uns jetzt zu – mir wäre es lieber, er wüsste nicht, dass ich das weiß!

 ?? BILD: Susanne Kronholm ?? Hält nicht viel von der strikten Trennung von Kinder und Erwachsene­nliteratur. Der Belgier Bart Moeyaert ist Schirmherr der Kibum 2021.
BILD: Susanne Kronholm Hält nicht viel von der strikten Trennung von Kinder und Erwachsene­nliteratur. Der Belgier Bart Moeyaert ist Schirmherr der Kibum 2021.

Newspapers in German

Newspapers from Germany