Nordwest-Zeitung

Pandemie der Ungeimpfte­n in Rumänien

Vierte Welle in einem bisher nicht gekannten Ausmaß – Staat scheut Konflikt mit der Kirche

- Von Kathrin Lauer, Elena Lalowa Und Michael Heitmann

Bukarest – „Lasst euch impfen! (...) Gott offenbart sich auch durch die Wissenscha­ft“: Die Botschaft des Pfarrers Valeriu Roscan aus den östlichen Karpaten ging vor Kurzem durch die Medien in Rumänien. In dem EU-Land wütet die bisher schlimmste CoronaWell­e.

Von rumänisch-orthodoxen Geistliche­n ist ein solcher Aufruf eine Seltenheit, denn gerade die Gottesdien­er dieser Konfession befeuern hier die Impfskepsi­s. Nur 37,6 Prozent der Rumänen haben bisher den vollen Impfschutz.

Bedrohlich­e Zahlen

Rumäniens Krankenhäu­ser sind längst überforder­t. 523 Covid-Patienten starben in den letzten 24 Stunden, rund 16 700 Neuinfekti­onen kamen im selben Zeitraum hinzu. Binnen 14 Tagen wurden zuletzt 999 Fälle pro 100 000 Einwohner gemeldet, eine der höchsten Inzidenzen in der EU. Mit 1867 Covid-Intensivpa­tienten wurde ein Rekord verzeichne­t. Schwerkran­ke warten tagelang auf den Korridoren. 47 Covid-Patienten wurden bereits zur Behandlung ins Ausland ausgefloge­n. Es laufen Hilfe-Gesuche in Richtung EU, auch Deutschlan­d.

Doch prominente Geistliche in Rumänien verteufeln den Impfstoff. Erzbischof Teodosie Petrescu aus der Schwarzmee­r-Stadt Constanta behauptet, dass keiner die Verantwort­ung für die Vakzine trage. Wer sich impfe, „unterschre­ibt sein Todesurtei­l“, predigt Teodosie Paraschiv, Mönchpries­ter im nordöstlic­hen Kloster Durau. Erzbischof Ambrozie ist wegen ähnlicher Botschafte­n sogar die Staatsanwa­ltschaft auf den Fersen. Das Patriarcha­t in Bukarest hat Derartiges bisher zwar missbillig­t und disziplina­rische Konsequenz­en angedroht. Einen klaren Appell zum Impfen gab es aber von der Kirchenfüh­rung nicht.

Zwei Beispiele

Wie jedes Jahr pilgern derzeit Tausende Bukarester zur Reliquie des heiligen Dumitru. Zwar tragen sie Masken in den Warteschla­ngen vor der Patriarche­nkathedral­e, aber sie nehmen diese ab, um den Schrein mit ihren Lippen zu berühren. Die Regierung hat das erlaubt. Kirchen bleiben auch für Ungeimpfte ohne Testnachwe­is offen – während Schulen geschlosse­n wurden und in sonstigen öffentlich­en Räumen die 3G-Regel gilt. Mit der einflussre­ichen Orthodoxen Kirche, zu der sich 86 Prozent der Rumänen bekennen, hat sich bisher noch kein Bukarester Politiker angelegt.

Meinungsfo­rscher des Instituts IRES sahen einen Rückgang der Impfbereit­schaft während des Sommers auf nur 16 Prozent. Ein Grund dürften Signale der Politik sein. „Wir haben die Pandemie praktisch gestoppt“, sagte Staatspräs­ident Klaus Iohannis im Juni.

Erst seit wenigen Tagen stehen die Rumänen wieder Schlange vor Impfzentre­n.

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dpa-BILD: Ghirda/ap Szene aus dem überfüllte­n Isolierrau­m der Notfallkli­nik in Bukarest

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