Kleckse für den König
Im britischen Bristol holen Demonstranten die Statue eines Sklavenhändlers vom Sockel. Im US-Bundesstaat Virginia soll das Denkmal von Südstaaten-General Robert E. Lee entfernt werden. Im eher beschaulichen Hannover gibt es zwar viele Farbschmierereien; doch diese Art von Bildersturm ist in der niedersächsischen Landeshauptstadt nicht üblich. Hier geht es eher künstlerisch anspruchsvoll zu.
Jüngstes Beispiel: ein Projekt am Hauptbahnhof. Die Reiterstatue von König Ernst August von Hannover (17711851) ist verhüllt. Allerdings nicht mit glänzendem weißen Stoff wie kürzlich der Pariser Arc de Triomphe, dem letzten Projekt von Christo. Sondern in schwarzer, eng anliegender Folie. Das passt auch eher zur Silo-Folie im Agrarland Niedersachsen. Der König und sein Ross bleiben allerdings nicht im dunklen Anzug.
Des Königs neue Kleider sind rot-weiß – wie das Landeswappen. Die schwarze Folie dient als Leinwand für coole Pünktchen. „Jeder Hannoveraner ist eingeladen, dem Denkmal einen Farbspritzer zu verpassen“, erklärt Künstlerin und Initiatorin Kerstin Schulz (54) die Mitmach-Kunstaktion für Groß und Klein. Über ein Gerüst können Interessierte das Standbild erreichen und mithilfe einer Silikon-Spritze bekleckern. „Schwarmkunst“ nennt sich das dann.
Wie es vorher üblich war, sich „unterm Schwanz“– der Schweif des königlichen Pferdes – zu treffen, kommen nun täglich 100 bis 200 Personen zum Denkmal, um dem Monarchen einen Klecks zu verpassen. Gespräche inklusive. „Wir wollen eine Plattform, die verschiedene Meinungen zulässt“, sagt die Initiatorin aus Gehrden. Bis zum Ende der Woche wird gepunktet. Dann schieben die Macher das Gerüst beiseite, und der König, dessen linke Hälfte schon jetzt knallrot ist, wird in neuer Optik die Besucher vorm Bahnhof begrüßen.
Die Aktion gebe der Innenstadtbelebung jenseits von „Konsum, Kirche und Kaffee“neuen Schub, meinen die Initiatoren. Schon einmal gab es ein „Schwarmkunst-Projekt“in Hannover. Da wurde der verhüllte Martin Luther vor der Marktkirche mit Emojis beklebt. Das neue Kleid von Ernst August und seinem edlen Pferd landet nach der Enthüllung übrigens nicht im Müll. Die Folie soll in Stücke geschnitten und für andere Aktionen genutzt werden. Von dieser Form des Marketings können anderen Städte noch etwas lernen. Und wer weiß: Hannover könnte bald nicht mehr für seine Kekse, sondern für die Kleckse bekannt sein. @ Den Autor erreichen Sie unter Idel@infoautor.de