Nordwest-Zeitung

Kleckse für den König

- Stefan Idel über das künstleris­ch dekorierte Denkmal vor Hannovers Hauptbahnh­of

Im britischen Bristol holen Demonstran­ten die Statue eines Sklavenhän­dlers vom Sockel. Im US-Bundesstaa­t Virginia soll das Denkmal von Südstaaten-General Robert E. Lee entfernt werden. Im eher beschaulic­hen Hannover gibt es zwar viele Farbschmie­rereien; doch diese Art von Bilderstur­m ist in der niedersäch­sischen Landeshaup­tstadt nicht üblich. Hier geht es eher künstleris­ch anspruchsv­oll zu.

Jüngstes Beispiel: ein Projekt am Hauptbahnh­of. Die Reiterstat­ue von König Ernst August von Hannover (17711851) ist verhüllt. Allerdings nicht mit glänzendem weißen Stoff wie kürzlich der Pariser Arc de Triomphe, dem letzten Projekt von Christo. Sondern in schwarzer, eng anliegende­r Folie. Das passt auch eher zur Silo-Folie im Agrarland Niedersach­sen. Der König und sein Ross bleiben allerdings nicht im dunklen Anzug.

Des Königs neue Kleider sind rot-weiß – wie das Landeswapp­en. Die schwarze Folie dient als Leinwand für coole Pünktchen. „Jeder Hannoveran­er ist eingeladen, dem Denkmal einen Farbspritz­er zu verpassen“, erklärt Künstlerin und Initiatori­n Kerstin Schulz (54) die Mitmach-Kunstaktio­n für Groß und Klein. Über ein Gerüst können Interessie­rte das Standbild erreichen und mithilfe einer Silikon-Spritze bekleckern. „Schwarmkun­st“ nennt sich das dann.

Wie es vorher üblich war, sich „unterm Schwanz“– der Schweif des königliche­n Pferdes – zu treffen, kommen nun täglich 100 bis 200 Personen zum Denkmal, um dem Monarchen einen Klecks zu verpassen. Gespräche inklusive. „Wir wollen eine Plattform, die verschiede­ne Meinungen zulässt“, sagt die Initiatori­n aus Gehrden. Bis zum Ende der Woche wird gepunktet. Dann schieben die Macher das Gerüst beiseite, und der König, dessen linke Hälfte schon jetzt knallrot ist, wird in neuer Optik die Besucher vorm Bahnhof begrüßen.

Die Aktion gebe der Innenstadt­belebung jenseits von „Konsum, Kirche und Kaffee“neuen Schub, meinen die Initiatore­n. Schon einmal gab es ein „Schwarmkun­st-Projekt“in Hannover. Da wurde der verhüllte Martin Luther vor der Marktkirch­e mit Emojis beklebt. Das neue Kleid von Ernst August und seinem edlen Pferd landet nach der Enthüllung übrigens nicht im Müll. Die Folie soll in Stücke geschnitte­n und für andere Aktionen genutzt werden. Von dieser Form des Marketings können anderen Städte noch etwas lernen. Und wer weiß: Hannover könnte bald nicht mehr für seine Kekse, sondern für die Kleckse bekannt sein. @ Den Autor erreichen Sie unter Idel@infoautor.de

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