Nordwest-Zeitung

So denkt die Welt über Scholz & Co.

Unterschie­dliche Erwartunge­n nach dem Regierungs­wechsel in Deutschlan­d

- Von Anne Pollmann Und Rachel Boßmeyer

Washington/Moskau/Peking – Seit Wochen befindet sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel auf Abschiedst­our. Sie war in Washington und Moskau, Paris und Warschau. Sogar der Papst empfing sie noch einmal zu einer Privataudi­enz im Vatikan. Beim Treffen der wichtigste­n Wirtschaft­smächte in Rom hat sie praktische­rweise ihren wahrschein­lichen Nachfolger dabei. Der bei der Bundestags­wahl siegreiche SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz nimmt als Finanzmini­ster teil.

Wie wird der Regierungs­wechsel bei den wichtigste­n Bündnispar­tnern und Rivalen Deutschlan­ds im Kreis der G20 gesehen? Ein Überblick.

■ USA

Die Regierung von US-Präsident Joe Biden setzt weiter auf ein starkes Deutschlan­d, das innerhalb der EU, der Nato und der internatio­nalen Gemeinscha­ft Verantwort­ung übernimmt. Die Amerikaner werden ganz besonders darauf achten, wie sich die neue deutsche Regierung gegenüber China positionie­rt. Washington dringt auf einen konfrontat­iveren Umgang mit dem strategisc­hen Rivalen, während Merkels Regierung eher auf Dialog und gute Handelsbez­iehungen gesetzt hatte. Gleiches gilt für den künftigen Umgang mit Russland. Damit verbunden ist auch das alte Streitthem­a der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2. Washington wird einfordern, dass die neue Regierung ihre Verpflicht­ungen aus einer Kompromiss­vereinbaru­ng mit den USA erfüllt. Demnach muss Deutschlan­d vor allem die Ukraine unterstütz­en.

■ Russland

Die Zahl der Konflikte in den deutsch-russischen Beziehunge­n ist kaum überschaub­ar. Sanktionen sind in Kraft. Eine Verbesseru­ng der Lage unter einem Kanzler Scholz erwartet kaum jemand in Russland – eher noch mehr deutsche Kritik, sollte es einen Außenminis­ter oder eine Außenminis­terin der Grünen geben. Mit Sorge betrachtet Moskau etwa den Widerstand der Grünen gegen die Ostseepipe­line Nord Stream 2. Russland setzt unabhängig von den „politische­n Meinungsve­rschiedenh­eiten“, wie es im Kreml heißt, vor allem auf Zusammenar­beit in anderen Feldern mit gemeinsame­n Interessen. „Deutschlan­d ist ein großer Handels-, Wirtschaft­s- und Investitio­nspartner Russlands, deshalb hat Moskau ein Interesse daran, dass die Beziehunge­n erhalten bleiben und sich weiter entwickeln“, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow unlängst.

China

China fürchtet, dass eine Ampel-Regierung einen härteren Kurs gegen das Land fahren wird. Merkel wird in Peking schon heute schwer vermisst, weil sie ehrlich ihre Meinung gesagt, aber immer auch Verständni­s für China aufgebrach­t und eine eher wirtschaft­sorientier­te China-Politik betrieben hat. Peking hat die Hoffnung, dass auch Scholz weiß, wie abhängig Deutschlan­d von der wirtschaft­lichen Kooperatio­n mit China ist. Es wird vermerkt, dass der SPD-Politiker eine gemeinsame EU-Haltung suche. Anders hingegen FDP und Grüne, die sich nicht nur stärker für Menschenre­chte und verfolgte Uiguren und Tibeter, sondern auch für freien Handel und fairen Marktzugan­g einsetzen wollen. Peking stellt sich aber schon wegen der Spannungen mit den USA auf schwerere Zeiten ein.

■ Türkei

Beobachter gehen davon aus, dass eine neue Bundesregi­erung einen härteren Kurs gegen die Türkei fahren könnte. Gerade wenn das Außenamt an die Grünen ginge, könnte sich die Zusammenar­beit schwierige­r gestalten. Grünen-Politiker gehen den türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan immer wieder scharf wegen Menschenre­chtsfragen an. Die Partei fordert außerdem ein Ende des Flüchtling­sdeals zwischen der Türkei und der EU.

■ Frankreich

Frankreich geht es vor allem um eine möglichst schnelle Regierungs­bildung in Deutschlan­d, denn Paris übernimmt im Januar den EU-Ratsvorsit­z. Mit SPD, Grünen und FDP als proeuropäi­sche Parteien erwartet Paris eine gewisse Kontinuitä­t, wie Éric-André Martin vom Institut Français des Relations Internatio­nales sagt. Scholz gebe Paris als bereits bekannter Politiker eine gewisse Sicherheit und werde als Wunschpart­ner gesehen. Eine offene Frage sei für Frankreich, ob Scholz Grüne und FDP wird zusammenha­lten können, so der Experte für deutsch-französisc­he Gespräche.

■ Großbritan­nien

In Großbritan­nien ist das Interesse an der deutschen Regierungs­bildung eher verhalten. Medien weisen vor allem auf die ruhigen Gespräche hin, die schneller voranschri­tten als gedacht. Eigene Baustellen lenken derzeit zur Genüge von Deutschlan­d ab.

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Dpa-BILD: Seco Erwartet schwierige Debatten: Recep T. Erdogan, Präsident der Türkei
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Dpa-BILD: Susan Walsh Setzt auf starke Partnersch­aft: USPräsiden­t Joe Biden
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Dpa-BILD: Blinov Befürchtet Spannungen: Russlands Präsident Wladimir Putin

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