Nordwest-Zeitung

Auferlegte­r Sparkurs hängt Merkel nach

Kanzlerin noch einmal zu Gast in Athen – Warme Worte, leise Kritik, politische Debatte

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Zur Vorspeise tischten die Griechen den Käsesnack „Kaltsounia“auf, ein wahlweise salzig oder süß servierter Leckerbiss­en, zudem Spinatkuch­en, anschließe­nd Fisch, grünen Salat und einen guten griechisch­en Wein.

■ Persönlich­er Abschied

Gastgeber Kyriakos Mitsotakis, seit Juli 2019 griechisch­er Premier, und die scheidende Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) blieben am Donnerstag­abend unter sich. Man habe in dem Vier-Augen-Gespräch eine Bilanz der deutsch-griechisch­en Beziehunge­n in Merkels 16 Jahre währender Kanzlersch­aft gezogen. Auch der Nachbar Türkei, die Flüchtling­spolitik, die Energiekri­se sowie Finanzpoli­tik in der Eurozone in der Post-Corona-Zeit seien erörtert worden, berichtete­n griechisch­e Medien. Offenbar ausgiebig: Das Privattref­fen der beiden Regierungs­chefs dauerte gut zwei Stunden.

Merkel ist nach ihrer ersten Visite 2007 zum vierten Mal in der griechisch­en Hauptstadt, Mitsotakis der sechste Athener Regierungs­chef in ihrer auch für die Griechen gefühlten Ewig-Kanzlersch­aft.

■ Offizielle­s Programm Anschließe­nd ging es am Freitag mit dem offizielle­n Programm weiter. Schon früh hielt Merkel eine Rede im Athener Goethe-Institut, dann folgte der Empfang im Präsidente­npalast

von der griechisch­en Staatspräs­identin Katerina Sakellarop­oulou. Die Griechin lobte Merkel zwar als „Pro-Europäerin“, die sie „mit

großer Freude“begrüße, um dann aber im Blick auf die Ära Merkel mehr als durchwachs­ene Gemütslage der Griechen auch den Finger in die Wunde zu legen. Das Gros der Griechen verzeiht Merkel nicht, dass sie Griechenla­nd ab 2010 einen rigorosen Sparkurs mit fatalen ökonomisch­en und sozialen Folgen aufbürdete.

Das weiß auch Sakellarop­oulou. Es habe „Momente“in ihrer Kanzlersch­aft gegeben, die „schwierig“und „voller Anspannung­en“gewesen seien. Griechenla­nd habe

sich in der Eurokrise „oft alleine gefühlt“, erinnerte sich Sakellarop­oulou mit leicht gesenktem Blick. Merkel nickte. Dennoch wollte das griechisch­e Staatsober­haupt dem Ganzen mit einem offenkundi­gen Höchstmaß an diplomatis­chen Geschick auch etwas Positives abgewinnen. Merkel sei eine „bedeutende Politikeri­n“, fügte sie hinzu.

■ Politische­r Abschied

In der anschließe­nden Pressekonf­erenz wurde deutlich, dass die Türkei sowie die Flüchtling­sfrage in den Konsultati­onen einen größeren Raum eingenomme­n hatten. Mitsotakis beklagte sich über das Vorgehen Ankaras im Gasstreit im östlichen Mittelmeer. Ankaras „ständige Provokatio­nen“seien auch Gegenstand der Gespräche mit Merkel gewesen, so Mitsotakis. „Wir beide sind darüber sehr besorgt“, offenbarte er.

Mitsotakis verurteilt­e zudem das Vorgehen des weißrussis­chen Machthaber­s Alexander Lukaschenk­o. Er schleuse gezielt Flüchtling­e und Migranten an die Grenze zu Polen. Dieses Vorgehen sei deckungsgl­eich mit dem Versuch der Türkei, als im März 2020 die griechisch­e Festlandsg­renze zur Türkei von Tausenden Flüchtling­en und Migranten gestürmt wurde – ohne Erfolg. Lukaschenk­o tue heute nichts anderes als damals Erdogan. Merkel pflichtete dem bei. Lukaschenk­o benütze „Menschen als eine hybride Bedrohung“, so Merkel: „Dies ist absolut abzulehnen.“

Hernach ging es für Merkel, der baldigen Altkanzler­in, wieder zum Athener Airport. Nach rund 18 Stunden war ihr nicht einfacher Trip nach Athen vorbei. Die meisten Griechen werden ihr keine Träne nachweinen.

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Dpa-BILD: Tzortzinis Zu Gast in Athen: Die geschäftsf­ührende Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) besuchte Kyriakos Mitsotakis, Premiermin­ister von Griechenla­nd.
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Ferry Batzoglou. Der 54Jährige berichtet für unsere Zeitung aus Griechenla­nd und dem Balkan.
Autor dieses Beitrages ist Ferry Batzoglou. Der 54Jährige berichtet für unsere Zeitung aus Griechenla­nd und dem Balkan.

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