Nachtschwärmer erhalten mehr Zeit
Zeitumstellung in der Nacht zu Sonntag – Durchleuchtete Städte und stockdusteres Land
Alexander Gerst (45) hat ein Faible für seinen Wohnort Köln. „Ich glaube, als Außerirdischer würde man sich in Köln sehr wohlfühlen, weil man ohne Probleme einfach so durch die Straßen spazieren könnte – es würde noch nicht einmal auffallen“, sagte der aus Künzelsau in BadenWürttemberg stammende Astronaut dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Das ist tatsächlich das, was mir als Allererstes an Köln aufgefallen ist: Die Leute sind gut drauf, und es kann zu jeder beliebigen Jahres- und Tageszeit vorkommen, dass Leute in voller Verkleidung durch die Stadt laufen. Das finde ich toll.“
Die Schauspielerin Heike Makatsch
hadert mit den sozialen Netzwerken und erhofft eine Art Rebellion dagegen. „Meine Hoffnung ist, dass eine Generation heranwächst, die zwar einerseits sehr verführbar ist, aber vielleicht auch eine Gegenbewegung hervorbringt. Es könnte ja auch mal wieder eine Zeit kommen, in der es cool wird, sich auszuloggen“, sagte die 50-Jährige der „Augsburger Allgemeinen“. Sie sorge sich aber um die gesellschaftlichen Risse: „Ich schaue mir an, wie sich unsere Gesellschaft in Lager spaltet, unter anderem weil sich alle nur noch in ihrer eigenen algorithmischen Blase befinden.“
Berlin – Nachtschwärmer, die dem Sonnenlicht entfliehen, gibt es schon im alten Rom. Jene „Lucifugae“erobern die dunklen Stunden. Seneca berichtet von einem Mann, der sich um neun Uhr abends seinen Abrechnungen widme, um Mitternacht Sprechübungen veranstalte und um zwei in der Früh zur Spazierfahrt aufbreche. Im Morgengrauen gibt es die Hauptmahlzeit. Er habe „nichts als die Nacht zu sich genommen“, schreibt der Philosoph. Und die war in der Antike, wenn kein Mond am Himmel stand, richtig duster.
Auch heutige Genießer der Dunkelheit sehen den kommenden Monaten sehnsuchtsvoll entgegen, denn wegen der Uhrumstellung in der Nacht zu Sonntag verabschiedet sich der helle Tag dann noch früher am Abend. Zudem werden die Nächte länger, weil die Sonne Richtung südlicher Wendekreis wandert.
Die verdrängte Nacht
Doch um sich heutzutage mit besonders ausgeprägter Dunkelheit umgeben zu können, muss man lange suchen. In den Städten, in denen die Nächte künstlich immer heller werden, ist das wegen der Lichtverschmutzung seit Jahren gar nicht mehr möglich.
Nach Angaben der International Dark-Sky Association lassen sich die dunkelsten Orte Deutschlands unter anderem im Nationalpark Eifel oder auf der Winklmoosalm an Bayerns Grenze zu Österreich finden. Das Dorf Gülpe in Westen Brandenburgs ist ein wahres Ruhe-Mekka für Sternengucker geworden.
In Großstädten hingegen herrscht mittlerweile im Dunkeln ähnlich viel Betriebsamkeit wie am Tag. „Die Nacht kann heute vielfach gar nicht mehr wahrgenommen werden als das, was sie einmal war“, sagt Bernd Brunner, der in seinem im Verlag Galiani erschienenen „Buch der Nacht“die Stunden zwischen Dämmerung und Morgengrauen unter die Lupe nimmt. Gerade die Erfindung der elektrischen Beleuchtung Ende des 19. Jahrhunderts habe „alles grundlegend verändert“, so der Autor. Der Nacht sei die Dramatik abhanden gekommen.
Grenzen überschreiten
„In unserem kulturellen Bewusstsein ist die Nacht geprägt als eine Zeit der Grenzüberschreitung, des Verbrechens und der gefährlichen Gestalten“, sagt Brunner. Vor marodierenden Gruppen sei auch schon im geschäftigen Nachtleben der Antike gewarnt worden. Seit jeher ist die Dunkelheit eine verrufene Zeit. Nicht umsonst warnt die Polizei anlässlich der herbstlichen Uhrenumstellung unter anderem vor den Gefahren von Einbrechern.
Doch ist die Nacht auch die Zeit der Ausschweifungen und des Tanzes. Heutige Clubs haben wohl ihren Ursprung in Paris. Die Menschen „wollen sich ausprobieren“, schreibt Brunner in seinem „Buch der Nacht“, „suchen einen Ort, eine Gegenwelt, in der sie sich vergessen können, wo das Prinzip, funktionieren zu müssen, aufgehoben ist“.