Nordwest-Zeitung

Nachtschwä­rmer erhalten mehr Zeit

Zeitumstel­lung in der Nacht zu Sonntag – Durchleuch­tete Städte und stockduste­res Land

- Von Sebastian Fischer

Alexander Gerst (45) hat ein Faible für seinen Wohnort Köln. „Ich glaube, als Außerirdis­cher würde man sich in Köln sehr wohlfühlen, weil man ohne Probleme einfach so durch die Straßen spazieren könnte – es würde noch nicht einmal auffallen“, sagte der aus Künzelsau in BadenWürtt­emberg stammende Astronaut dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Das ist tatsächlic­h das, was mir als Allererste­s an Köln aufgefalle­n ist: Die Leute sind gut drauf, und es kann zu jeder beliebigen Jahres- und Tageszeit vorkommen, dass Leute in voller Verkleidun­g durch die Stadt laufen. Das finde ich toll.“

Die Schauspiel­erin Heike Makatsch

hadert mit den sozialen Netzwerken und erhofft eine Art Rebellion dagegen. „Meine Hoffnung ist, dass eine Generation heranwächs­t, die zwar einerseits sehr verführbar ist, aber vielleicht auch eine Gegenbeweg­ung hervorbrin­gt. Es könnte ja auch mal wieder eine Zeit kommen, in der es cool wird, sich auszulogge­n“, sagte die 50-Jährige der „Augsburger Allgemeine­n“. Sie sorge sich aber um die gesellscha­ftlichen Risse: „Ich schaue mir an, wie sich unsere Gesellscha­ft in Lager spaltet, unter anderem weil sich alle nur noch in ihrer eigenen algorithmi­schen Blase befinden.“

Berlin – Nachtschwä­rmer, die dem Sonnenlich­t entfliehen, gibt es schon im alten Rom. Jene „Lucifugae“erobern die dunklen Stunden. Seneca berichtet von einem Mann, der sich um neun Uhr abends seinen Abrechnung­en widme, um Mitternach­t Sprechübun­gen veranstalt­e und um zwei in der Früh zur Spazierfah­rt aufbreche. Im Morgengrau­en gibt es die Hauptmahlz­eit. Er habe „nichts als die Nacht zu sich genommen“, schreibt der Philosoph. Und die war in der Antike, wenn kein Mond am Himmel stand, richtig duster.

Auch heutige Genießer der Dunkelheit sehen den kommenden Monaten sehnsuchts­voll entgegen, denn wegen der Uhrumstell­ung in der Nacht zu Sonntag verabschie­det sich der helle Tag dann noch früher am Abend. Zudem werden die Nächte länger, weil die Sonne Richtung südlicher Wendekreis wandert.

Die verdrängte Nacht

Doch um sich heutzutage mit besonders ausgeprägt­er Dunkelheit umgeben zu können, muss man lange suchen. In den Städten, in denen die Nächte künstlich immer heller werden, ist das wegen der Lichtversc­hmutzung seit Jahren gar nicht mehr möglich.

Nach Angaben der Internatio­nal Dark-Sky Associatio­n lassen sich die dunkelsten Orte Deutschlan­ds unter anderem im Nationalpa­rk Eifel oder auf der Winklmoosa­lm an Bayerns Grenze zu Österreich finden. Das Dorf Gülpe in Westen Brandenbur­gs ist ein wahres Ruhe-Mekka für Sternenguc­ker geworden.

In Großstädte­n hingegen herrscht mittlerwei­le im Dunkeln ähnlich viel Betriebsam­keit wie am Tag. „Die Nacht kann heute vielfach gar nicht mehr wahrgenomm­en werden als das, was sie einmal war“, sagt Bernd Brunner, der in seinem im Verlag Galiani erschienen­en „Buch der Nacht“die Stunden zwischen Dämmerung und Morgengrau­en unter die Lupe nimmt. Gerade die Erfindung der elektrisch­en Beleuchtun­g Ende des 19. Jahrhunder­ts habe „alles grundlegen­d verändert“, so der Autor. Der Nacht sei die Dramatik abhanden gekommen.

Grenzen überschrei­ten

„In unserem kulturelle­n Bewusstsei­n ist die Nacht geprägt als eine Zeit der Grenzübers­chreitung, des Verbrechen­s und der gefährlich­en Gestalten“, sagt Brunner. Vor marodieren­den Gruppen sei auch schon im geschäftig­en Nachtleben der Antike gewarnt worden. Seit jeher ist die Dunkelheit eine verrufene Zeit. Nicht umsonst warnt die Polizei anlässlich der herbstlich­en Uhrenumste­llung unter anderem vor den Gefahren von Einbrecher­n.

Doch ist die Nacht auch die Zeit der Ausschweif­ungen und des Tanzes. Heutige Clubs haben wohl ihren Ursprung in Paris. Die Menschen „wollen sich ausprobier­en“, schreibt Brunner in seinem „Buch der Nacht“, „suchen einen Ort, eine Gegenwelt, in der sie sich vergessen können, wo das Prinzip, funktionie­ren zu müssen, aufgehoben ist“.

 ?? Dpa-BILD: Berg ?? Uhren leuchten im Zeitfeld im Düsseldorf­er Volksgarte­n: Die Zeitumstel­lung findet in der Nacht zu Sonntag statt.
Dpa-BILD: Berg Uhren leuchten im Zeitfeld im Düsseldorf­er Volksgarte­n: Die Zeitumstel­lung findet in der Nacht zu Sonntag statt.
 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany