Nordwest-Zeitung

Corona überfährt die Ampel

- Von Gregor Mayntz, Büro Berlin @ Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

Nicht nur Politiker wissen es aus vielen leidvollen Erfahrunge­n: Ist das Image erst einmal kaputt, kann man anschließe­nd noch so viel richtig machen, man kriegt beim Publikum kaum noch ein Bein auf die Erde. Das droht auch der entstehend­en Ampel-Koalition. Denn sie wird gerade von Corona überfahren.

Angesichts der explodiere­nden Infektions­zahlen, der rapide sich füllenden Intensivst­ationen und der immens steigenden Zahlen von Toten gehört nicht viel Fantasie zu der Vorstellun­g, wie das bei ungebremst­er Entwicklun­g in vier Wochen aussehen wird. Also dann, wenn die neue Koalition die Regierung übernehmen will. Dann werden die täglichen Katastroph­enmeldunge­n auf das erste Signal prallen, das die neue Ampel-Mehrheit in Sachen Corona gesetzt hat: Es gibt keine epidemisch­e Lage von nationaler Tragweite mehr. Während die vierte Corona-Welle mit mehr Opfern tobt als alle anderen zuvor, erweckt die Ampel den Eindruck, Corona sei vorbei. Krasser können Politik und Wirklichke­it nicht auseinande­rfallen.

Im Kleingedru­ckten bauen die künftigen Koalitionä­re eiligst vor. Sie wollen noch vor der Nicht-Verlängeru­ng der gesetzlich­en Epidemie-Einstufung ein Übergangsg­esetz machen, das den Ländern weiterhin den Rahmen für Eingriffe liefert. Verbunden sein soll das mit einem automatisc­hen Auslaufen bis zum März. Als Ergebnis werden gerade diejenigen, die immer noch Zweifel an den Segnungen des Impfschutz­es haben, genau das tun, was sie bisher schon bevorzugte­n: nicht das Kleingedru­ckte lesen, das zu besserer Erkenntnis verhilft. Ihnen reicht die Botschaft: Die PandemieLa­ge ist zu Ende.

In dieses Problem sind Rot-Grün-Gelb sehenden Auges gestolpert. In ihrem zwölfseiti­gen Sondierung­spapier war ihnen die Pandemie nur eine halbe Zeile wert: Dass sie Lehren aus den Erkenntnis­sen der Pandemie für künftige Herausford­erungen ziehen wollen. Sie hatten die Pandemie offenbar abgehakt. Doch die neue Super-Dynamik war bereits im Gange, als drei Sondierer von SPD, Grünen und FDP vor die Kameras traten und verkündete­n, es werde mit ihnen keine Schulschli­eßungen, Lockdowns und Ausgangssp­erren mehr geben. Denn es gebe keine Gefahr für die öffentlich­e Gesundheit mehr.

Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, die so oft schon seit März 2020 erneuerte gesetzlich­e epidemisch­e Lage angesichts der tatsächlic­hen epidemisch­en Entwicklun­g ein letztes Mal zu verlängern – verbunden mit der Ankündigun­g, diese umgehend als neue Regierungs­mehrheit bis zum Frühjahr durch differenzi­ertere Gesetze abzulösen. So aber dürften die Ampel-Koalitionä­re in eine Lage geraten, in der sie ihre eigenen Worte aufessen möchten. Aber niemand bekommt eine zweite Chance, um einen guten ersten Eindruck zu machen.

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