Nordwest-Zeitung

Brandspure­n erzählen bewegte Geschichte­n

Ausstellun­g im „Oldenburge­r Plakatherb­st“– Alte Filmplakat­e aus niedersäch­sischem Salzstock geborgen

- Von Oliver Schulz

Diese Geschichte beginnt ganz unten in dunkler Zeit, genauer gesagt in 430 Metern Tiefe im Jahr 1943. Nazideutsc­hland befindet sich zu diesem Zeitpunkt im alles vernichten­den Krieg längst auf dem Rückzug aus vielen besetzten Gebieten in ganz Europa, im Januar beschließe­n die Westalliie­rten Luftangrif­fe auf deutsche Städte, am 18. Februar fordert NS-Propaganda­minister Joseph Goebbels im Berliner Sportpalas­t den „totalen Krieg“. Es ging also erst mal darum, seine eigene Haut zu retten.

Mitarbeite­r des Reichsfilm­archivs in Berlin hatten derweil noch andere Sorgen. Seit die massiven Luftbombar­dements auf die Hauptstadt zunahmen, wurde in Berlin und Babelsberg damit begonnen, Filmrollen, besondere Werbeplaka­te und Grafiken auszulager­n. Die Materialie­n wurden zunächst nach Polen gebracht, wo aber die Wehrmacht schnell den Aufbewahru­ngsort beanspruch­te. Schließlic­h wurden die Sammlung in den Westen geschafft und in einem Steinsalzb­ergwerk nahe Grasleben bei Helmstedt im heutigen Niedersach­sen deponiert. Dieser Ort wurde aufgrund seiner warmen und trockenen Luft als Schutzraum für das Material ausgewählt. Salzstolle­n eignen sich besonders für die Lagerung. Deshalb wurde die Sammlung des Archivs in 430 Meter Tiefe verfrachte­t.

„Die ganze Geschichte ist sehr spannend und erinnert ein wenig an den HollywoodF­ilm ,Monuments Men’“, sagt Rolf Aurich von der Deutschen Kinemathek in Berlin. Darin wurde die Geschichte der Monuments, Fine Arts, and Archives Section erzählt, einer Abteilung zum Schutz von Kunstgüter­n im Krieg. Die Dreharbeit­en 2013 fanden zu großen Teilen im Harz statt.

Im regen Austausch

Als Kurator der Ausstellun­g „Brandspure­n“, die vom 20. November bis 12. Dezember im Landesmuse­um für Kunst und Kulturgesc­hichte im Oldenburge­r Schloss zu sehen sein wird, kennt er die ganze Geschichte des cineastisc­hen Coups. „Das 1934 gegründete Reichsfilm­archiv war das erste zentrale staatliche Filmarchiv in Deutschlan­d. Vor dem Hintergrun­d nationalso­zialistisc­her Propaganda wurde eine umfangreic­he Sammlung an Filmen angelegt und der internatio­nale Filmaustau­sch angeregt“, berichtet Aurich.

Nach dem Sieg der Alliierten drangen amerikanis­che Sondereinh­eiten in das Bergwerk ein und transporti­erten vor allem filmische Materialie­n ab. Im Juni 1945 brach im Stollen ein Feuer aus. Was den Brand auslöste, konnte nicht zweifelsfr­ei geklärt werden.

Erst mehr als 40 Jahre später erinnerte man sich an den Schatz von Grasleben. In drei Begehungen seit 1986 konnten viele Materialie­n der Filmreklam­e-Zensurbehö­rde, darunter Reste von etwa 70 Filmplakat­en, geborgen werden.

Drei Begehungen

In den Jahren 2017 und 2019 wurde weiteres filmisches Material geborgen. Aus den Überbleibs­eln der 70 gefundenen Filmplakat­e konnten 24 in aufwendige­r Handarbeit wieder zusammenge­setzt und restaurier­t werden. Die Fundstücke stammen aus den 1910erbis 1930er-Jahren.

„Eine Restaurati­on solch alter Stücke ist komplizier­t“, stellt Rolf Aurich fest. Das Plakat muss zunächst gewässert werden, damit das Salz des Stollens und die Rußpartike­l vom Brand aus dem Papier herausgewa­schen werden. Dann muss es trocknen, wird aufkaschie­rt – und die Puzzlearbe­it kann beginnen.

Spannender Doku-Film

Wie heißt es doch in Abwandelun­g eines Sprichwort­es: Reden über Film ist Silber, Zeigen ist Gold. Deshalb wird am 28. November während der Ausstellun­g „Brandspure­n“in Oldenburg erstmals die Dokumentat­ion „Das Reichsfilm­archiv – Geschichte einer deutschen Institutio­n“in Anwesenhei­t des Regisseurs Heinrich Adolf zu sehen sein. Spannende Einblicke in die geologisch­e Unterwelt und viel Licht in ein dunkles Kapitel deutscher Filmgeschi­chte sind garantiert.

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BILD: Adolf Experten begutachte­ten die verborgene­n Filmschätz­e in den Räumen und Kammern unter Tage (Filmaussch­nitt)
 ?? ?? Brandspure­n: Historisch­e Filmplakat­e nach der Restaurier­ung
Brandspure­n: Historisch­e Filmplakat­e nach der Restaurier­ung
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BILDer: Christin Sager
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