Nordwest-Zeitung

Reisen zum Mittelpunk­t der Malerei

Andreas Schwab wirft in „Zeit der Aussteiger“Blick auf Künstlerko­lonien abseits von Worpswede

- Von Birgit Denizel

Oldenburg – Gesponsert von einem Kopenhagen­er Mäzen unternimmt der dänische Maler Peder Severin Krøyer (1851-1909) Studienrei­sen nach Frankreich, Italien und Spanien, bevor er 1882 im Künstleror­t Skagen ankommt. Hier, im rauen Klima der nördlichst­en Spitze Jütlands, entwickelt er seinen charakteri­stischen Stil. Seine Bilder zeigen ein sorgloses Künstlerle­ben, Feste im Grünen und bald auch romantisch­e Spaziergän­ge am Strand. Bei einem Besuch in Paris 1889 trifft er die einundzwan­zigjährige Kunststude­ntin Marie Triepcke, die er noch im selben Jahr heiratet.

Weil Krøyer der geringe Komfort im Skagener Künstlerho­tel Brøndums nicht zusagt, lässt er sich von dem Architekte­n Ulrik Plesner eine Sommerresi­denz einrichten. Marie richtet das Haus im Stil des englischen Aesthetic Movement ein. Zusammen reisen sie in das sizilianis­che Taormina, wo Krøyer das antike Theater malt.

Für Aufschwung gesorgt

Dem gegenüber hatte sich bereits der Berliner Maler Otto Geleng (1843-1939) einquartie­rt. Er ließ sich sogar zum Bürgermeis­ter wählen, um sich in dieser Funktion für den Aufschwung des Fremdenver­kehrs einzusetze­n. In Luxushotel­s wie dem San Domenico gibt sich die internatio­nale Kundschaft die Klinke in die Hand.

So oder ähnlich lesen sich die Rückblicke in die Expansions­zeit der Künstlerko­lonien, die Andreas Schwab in seinem Buch „Zeit für Aus-steiger“(Verlag C. H. Beck) versammelt. Vom frühen 19. bis ins 20. Jahrhunder­t hinein bilden sich in ganz Europa Treffpunkt­e von Kunstschaf­fenden aller Couleurs, die wie Pilgerstät­ten miteinande­r vernetzt sind.

Um das Phänomen exemplaris­ch darzustell­en, hat der Historiker eine besondere Dramaturgi­e ausgeknobe­lt. „Das Gliederung­sprinzip“, schreibt Schwab, „ist einfach“. Nach dem Vorbild von Arthur Schnitzler­s „Reigen“werden elf Personen vorgestell­t, darunter Jean Francois Millet, Ida Gerhardi, Carl und Gerhart Hauptmann, Charlotte Bara und Truman Capote, welche die Leserinnen und Leser in zehn verschiede­ne Künstlerko­lonien führen. Seite für Seite wird das Netz der Protagonis­ten, ihrer Reiseroute­n und Begegnunge­n immer engmaschig­er.

Zurück zur Natur

Zu den Landschaft­smalern, die fernab der Großstädte ein ursprüngli­cheres Leben in der Natur suchen, gesellen sich schon bald Schriftste­ller, allerlei „haute Bohemians“und Lebensrefo­rmer. Ihre Sinnsuche verwandelt Dörfer in touristisc­he Knotenpunk­te mit wachsender Infrastruk­tur und begleitend­er Kommerzial­isierung des regionalen Brauchtums.

Schwabs Buch ist kein wissenscha­ftliches, sein Erzählstil ist flaneurhaf­t. Dass die Abfolge der Ereignisse mitunter zum Stakkato gerät, ist nicht nur den 550 Namen geschuldet, die auf 268 Seiten Text fallen. Merkbar paraphrasi­ert der Autor manche Passagen aus Sekundärli­teratur und Ausstellun­gskataloge­n.

Dennoch lässt sich diesem Panorama einiges abgewinnen, denn viele der Beschreibu­ngen sind nicht nur sehr unterhalts­am, sie machen vor allem deutlich, dass Künstleror­te nicht die abgelegene­n Refugien unverstand­ener Genies sind, sondern vielmehr Lifestyle-Produkte ihrer Zeit.

 ?? BILD: Kunstmuseu­m Göteborg ?? Peder Severin Krøyers Gemälde „Hip, Hip, Hurra!“zeigt ein Künstlerfe­st in Skagen (1888).
BILD: Kunstmuseu­m Göteborg Peder Severin Krøyers Gemälde „Hip, Hip, Hurra!“zeigt ein Künstlerfe­st in Skagen (1888).
 ?? ?? Andreas Schwab: Zeit der Aussteiger – Eine Reise zu den Künstlerko­lonien von Barbizon bis Monte Verità; 2021, 333 Seiten, mit 57 Abbildunge­n im Text sowie 16 Farbabbild­ungen, 26 Euro
Andreas Schwab: Zeit der Aussteiger – Eine Reise zu den Künstlerko­lonien von Barbizon bis Monte Verità; 2021, 333 Seiten, mit 57 Abbildunge­n im Text sowie 16 Farbabbild­ungen, 26 Euro

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