Nordwest-Zeitung

Lehrer aus Nazi-Zeit auch an Cäciliensc­hule

Ex-Staatsanwä­ltin Marie-Luise Schmidt erinnert sich an ihre Schulzeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg

- Von Thomas Husmann

Oldenburg – Der Schulbesuc­h in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war für die Kinder ein Schritt zurück in die Normalität, lange ersehnt. Für manche setzte sich allerdings das Martyrium, das sie zuvor erlitten hatten, fort. Dieter Vogt (80) hat seine Erlebnisse mit Lehrern von der Hindenburg­schule, die ihre nationalso­zialistisc­he menschenve­rachtende Gesinnung nicht abgelegt hatten, in seinem Buch „Erinnerung­en aus acht Jahrzehnte­n“beschriebe­n – und damit eine intensive öffentlich­e Debatte ausgelöst, in der sich viele zu Wort melden. Darunter auch Marie-Luise Schmidt, die den Blick auf die benachbart­e Cäciliensc­hule lenkt.

Herrliche Zeit zu Ende

Sie schreibt: „1952 musste ich mit anderen Klassenkam­eradinnen von der Liebfrauen­schule, wo wir eine herrliche Zeit verbracht hatten, zur Cäciliensc­hule wechseln, um dort das Abitur zu machen. Wir waren nicht willkommen, weil die Liebfrauen­schule eine vormals starke Konkurrenz war. Frau Meinhof, Lehrerin der Cäciliensc­hule und evangelisc­h, Dr. Debes, Direktor der Hindenburg­schule und evangelisc­h, Dr. Koch, Präsident des OLG Oldenburg, evangelisc­h,

Die Cäciliensc­hule heute: Die Erinnerung­en von Marie-Luise Schmidt an ihre Schulzeit reichen 70 Jahre zurück.

hatten die Unverfrore­nheit begangen, ihre Töchter in die ,Nonnenschu­le’ zu schicken. Die zwei Töchter mussten mit mir wechseln – Meinhof und Debes. Ingrid Debes blieb relativ ungeschore­n, ihr Vater war ja auch Vorsitzend­er des Oldenburge­r

Philologen­vereins und Direktor der Nachbarsch­ule. Ulrike Meinhof wurde dem hauswirtsc­haftlichen Zweig zugeteilt mit der Behauptung, im wissenscha­ftlichen Bereich seien alle Plätze besetzt. (...) Die Behauptung

stimmte nicht, denn ich wurde nach Ulrike angemeldet. Ich kam ohne weiteres in den wissenscha­ftlichen Zweig. Unsere Lehrer, Dr. Oetken, Frau Wulff und Frau Jaenke waren unerträgli­ch. Oetken und Wulff waren überzeugte

Als Abiturient­in im Jahr 1955: Marie-Luise Schmidt

Marie-Luise Schmidt legte 1955 ihr Abitur an der Cäciliensc­hule ab.

Nazis und nach einem vorübergeh­enden Rausschmis­s wegen Lehrermang­els wiedergeho­lt worden. (...)“

Frau Wulff bezichtigt­e Marie-Luise Schmidt von ihrer Sitznachba­rin Almut abgeschrie­ben zu haben, was nachweisli­ch nicht stimmte. Almuts Vater war ein Nazi, Marie-Luise Schmidt zog wohl auch deshalb in der Auseinande­rsetzung den kürzeren.

Schlechte Erinnerung­en

Auch an ihren Englischle­hrer, Herrn Oetken, hat sie schlechte Erinnerung­en: „Anschließe­nd sollten wir einen Aufsatz über das Rassenprob­lem schreiben. (...) Ich schrieb, dass ich die Frage nicht verstehen und nicht adaptieren könne, denn für mich gäbe es kein Rassenprob­lem. Entscheide­nd sei der Charakter, nicht die Hautfarbe eines Menschen. Kein Mensch könne sich aussuchen, ob er mit weißer Hautfarbe und hellen Augen, blonden Haaren, oder mit brauner Hautfarbe, dunklen Augen und dunklen Haaren oder als Chinese auf die Welt komme. Folglich könne ich den erforderte­n Aufsatz nicht schreiben. Gegen die 5 für diese Arbeit (in der Nacherzähl­ung war kein Fehler und alles korrekt) konnte ich nichts unternehme­n. Fortan konnte ich machen, was ich wollte, alles war falsch und die nächste Zeugnisnum­mer war eine 4 mit dem Kommentar; ich hätte Ihnen ja gerne eine 5 gegeben, aber das hätte ich vor der Zeugniskom­mission rechtferti­gen müssen (weil ich vorher eine 2 hatte) und das kann ich nicht.“

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BILD: Torsten von Reeken
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