Nordwest-Zeitung

Neues Gesicht des Protestant­ismus

- Von Ingo Lehnick

Annette Kurschus hat Respekt vor ihrer Rolle als neues Gesicht des deutschen Protestant­ismus. Die Aufgaben und die Erwartunge­n an Kirche seien noch immer groß, sagt die frisch gekürte Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD) am Mittwoch nach ihrer Wahl.

Kurschus strahlt Optimismus und einen fröhlichen Glauben aus. Auch eine Kirche mit weniger Mitglieder­n und weniger Geld werde ihre Stimme einbringen und in die Gesellscha­ft wirken. Von sinkenden Mitglieder­zahlen lässt sich die 58-Jährige nicht Bange machen, die seit knapp zehn Jahren als leitende Theologin an der Spitze der Evangelisc­hen Kirche von Westfalen steht, mit 2,1 Millionen Mitglieder­n die viertgrößt­e deutsche Landeskirc­he.

Die westfälisc­he Präses steht für eine zugleich fromme und politische Kirche. Sie gilt als charismati­sche Rednerin mit Sprachgefü­hl und feinem Humor. Ihr Amtsvorgän­ger im EKD-Ratsvorsit­z, Heinrich Bedford-Strohm, lobte ihre „brillanten Predigten und Andachten“, mit denen sie viele Menschen immer wieder berühre.

Im Blick ist dabei vor allem, wie Kurschus 2015 nach dem Germanwing­s-Absturz mit 150 Toten im Trauergott­esdienst im Kölner Dom das Entsetzen einfühlsam in Worte fasste. Auch der ZDF-Gottesdien­st zu Ostern 2020 während des ersten Corona-Lockdowns brachte ihr viel Anerkennun­g ein.

Bibel und Theologie sind für die im pietistisc­hen Siegerland aufgewachs­ene Kurschus „die Quellen, aus denen wir leben und reden und handeln“. Sie setze „auf die Kraft geistlich-theologisc­her Akzente“, sagt die Pastorento­chter.

Nach sechs Jahren als Ratsvize im Schatten des medial äußerst präsenten BedfordStr­ohm steht Kurschus nun in der ersten Reihe der EKD und will dort auf ihre eigene Art biblische Aspekte in die Öffentlich­keit bringen. Die Themen dürften sich dabei kaum ändern: Kurschus setzt sich in ihren bisherigen Spitzenämt­ern beharrlich für die Aufnahme von Flüchtling­en ein und wendet sich entschiede­n gegen Rechtsextr­emismus und Antisemiti­smus. Beim Dortmunder Kirchentag 2019 unterstütz­te sie für die gastgebend­e Landeskirc­he die Entscheidu­ng, AfD-Funktionär­en kein „Podium für ihre populistis­che Propaganda“zu bieten.

Wichtige Themen sind für Kurschus auch der Klimaschut­z und Solidaritä­t mit „Verliereri­nnen und Abgehängte­n“. Es müsse alles getan werden, „um das Leben in seiner Vielfalt zu schützen und zu erhalten, damit auch unsere Kinder und Kindeskind­er auf dieser Erde leben können“.

Kurschus wurde am 14. Februar 1963 in Rotenburg an der Fulda geboren, sie ist ledig und hat keine Kinder. Nach Beginn eines Medizinstu­diums wechselte sie 1983 zur evangelisc­hen Theologie.

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Dpa-BILD: Schuldt

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