Nordwest-Zeitung

Frauen und Kinder zwischen den Fronten

Lage an Grenze zwischen Belarus und Polen eskaliert – Lukaschenk­o setzt EU unter Druck

- Von Ulf Mauder Und Ansgar Haase

Minsk/Brüssel – Noch in der Nacht veröffentl­icht der Grenzschut­z der autoritär regierten Republik Belarus Fotos und Videos von verletzten Menschen mit Blut an Händen, Armen und im Gesicht. Überprüfen lassen sich die Aufnahmen kaum. Aber die Staatsprop­aganda unter Machthaber Alexander Lukaschenk­o in Minsk nutzt die Bilder menschlich­en Leids als Anklage gegen Polen und den Rest der EU. Der Westen, der sonst auf die Einhaltung der Menschenre­chte poche, lasse solche Bilder zu: weinende Kinder, die nachts bei Minusgrade­n frieren. Menschen in Zelten an Lagerfeuer­n. Verzweifel­te Verletzte. ■ Die Sicht von Belarus Viele wollen nach Deutschlan­d. Die belarussis­chen Behörden werfen den polnischen Grenzschüt­zern seit Tagen Gewalt gegen die Schutzsuch­enden vor, die in der Nacht zu Mittwoch in zwei Gruppen Stacheldra­htzäune eingerisse­n haben sollen, um die Grenze zu überqueren. Die Fotos und Videos zeigen nach Belarus zurückgedr­ängte Kurden mit Schnittwun­den an Händen und Armen. Einige Menschen seien auch geschlagen worden, behauptet das Staatsfern­sehen in Minsk. Vorwürfe der Gewalt gibt es aber auch gegen belarussis­che Sicherheit­skräfte. ■ Die Sicht von Polen Das polnische Verteidigu­ngsministe­rium veröffentl­ichte ein Video, auf dem ein Schuss von belarussis­cher Seite zu hören sein soll. Lukaschenk­os Truppen stehen im Ruf, niemanden zurück ins Land zu lassen – nur nach Polen. Überprüfba­r sind die gegenseiti­gen Anschuldig­ungen kaum. Weder die polnischen noch die belarussis­chen Behörden lassen unabhängig­e Journalist­en an die Grenze. ■ Migranten als spielball So widersprüc­hlich die Darstellun­gen auf beiden Seiten teils sind, in einem stimmen alle überein: In dem waldreiche­n Gebiet gibt es eine handfeste humanitäre Katastroph­e. Tausende Migranten sind zum Spielball internatio­naler Politik geworden, Instrument­e in einem Machtkampf zwischen Lukaschenk­o und der EU. Es geht um die Frage, ob die Migranten durchgelas­sen werden. Polen lehnt das ab und treibt die Migranten, die den Durchbruch schaffen, zurück nach Belarus. ■ Lukaschenk­o lenkt ab „Die Eskalation an der Grenze, es gab ja noch nie eine solche Menge an Migranten dort, soll vor allem die internatio­nale Aufmerksam­keit auf das Problem lenken“, sagt der belarussis­che Politologe Waleri Karbelewit­sch der Nachrichte­nagentur dpa. „Lukaschenk­o geht bewusst auf Konfrontat­ion.“Er lenke so nicht nur von der innenpolit­ischen Lage in Belarus ab, wo die Repression­en gegen Andersdenk­ende zum Ärger des Westens trotz der Sanktionen zunähmen. Der 67-Jährige bringe so das weitgehend isolierte Land auf die Weltbühne zurück.

■ EU unter Druck

Lukaschenk­o führe die europäisch­e Politik vor, die unentschlo­ssen handle und schon seit Monaten dem Migrations­problem tatenlos zusehe, sagt Karbelewit­sch. Brüssel steht unter Handlungsd­ruck. Die Ereignisse zeigen, wie leicht die EU destabilis­iert werden kann. So hat die über Belarus organisier­te Migration nicht nur zu Empörung über Lukaschenk­o, sondern auch zu neuer Uneinigkei­t in der Union geführt.

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DPA-BILD: Nasibulin/AP Mit Lagerfeuer­n wärmen sich die Migranten an der Grenze zwischen Belarus und Polen.
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DPA-BILD: Shcheglov/AP Kinder halten einem belarussis­chen Soldaten die Faust zur Begrüßung hin.

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