Nordwest-Zeitung

Den Steuerzahl­er schützen!

Warum der Marsch in den Schuldenst­aat verantwort­ungslos ist

-

Schuldenre­geln sollen Steuerzahl­er also vor allzu spendablen Politikern schützen.

Die möglichen Koalitionä­re haben sich verkeilt: Grüne wollen pauschal jährlich 50 Milliarden Euro mehr für Klima, die SPD mehr für Soziales, und die FDP will an Steuerbela­stung und Schuldenre­gel nicht rütteln. Ein Kompromiss muss her. Doch was steckt dahinter – jenseits aller Zahlendeta­ils ?

Jedenfalls erst einmal viel sprachlich­e Kreativitä­t und Symbolik. Da sollen „böse“Schulden in unternehme­nsähnliche „gute“Kredite etwa bei der bundeseige­nen KfW umgewidmet werden, obwohl sie wegen der garantiert­en Staatshaft­ung letztlich immer Schulden bleiben.

Nebelwerfe­r in Aktion

Zudem gibt es viele Staatsfond­sideen, die uns vor dem „Verbrennen unserer Erde“retten sollen – ähnlich wie uns etwa der 750 Milliarden Euro schwere Corona-„Wiederaufb­aufonds“in der EU gewisserma­ßen nach „Kriegszers­törungen“wieder auf die Beine helfen soll. Entlarvend ist ebenso der schräge Hinweis auf Merkels vielzitier­te „schwäbisch­e Hausfrau“, die wenn’s rein regnet, ihr Dach saniert, selbst wenn sie kein Geld hat. Doch die sparsame schwäbisch­e Hausfrau würde zuerst checken, wie viel Geld sie noch hat, wo sie einsparen und gegebenenf­alls welche Sicherheit­en sie der Hausbank bieten kann. Wie man es dreht und wendet: Neben dem vom Parlament stets zu billigende­n Bundeshaus­halt richtet sich die Geldsuche auf neue „Neben- oder Schattenha­ushalte“. Diese bleiben auch dort Staatsschu­lden, sind nicht erlaubt und verfassung­srechtlich problemati­sch. Zudem: Für eine mögliche Grundgeset­zänderung zugunsten einer laxeren Schuldenbr­emse gibt es mit der künftigen Opposition­s-Union keine Zweidritte­lstruktur-)Investitio­nen

Mehrheit. Notgedrung­en müssen sich auch die neuen Koalitionä­re an die Schuldenbr­emse halten. Aus guten Gründen ist sie vor über zehn Jahren in das Grundgeset­z aufgenomme­n worden und schreibt Bund und Ländern grundsätzl­ich einen ausgeglich­en Haushalt o h n e Kreditaufn­ahme vor.

Die Regel folgt der mutigen Einsicht, dass Politiker einen permanente­n Drang verspüren, systematis­ch mehr Geld auszugeben als der Staat einnimmt. Die steigende Neuverschu­ldung begründen sie dann immer mit einem guten Zweck, wie etwa gegen Altersarmu­t

oder marode Infrastruk­tur.

Schuldenre­geln sollen Steuerzahl­er also vor allzu spendablen Politikern schützen. Dabei ge ht es im Kern stets um zwei Herausford­erungen: die staatliche Handlungsf­ähigkeit selbst in unvorherge­sehenen Notfällen (Finanzkris­e, Pandemien) zu gewährleis­ten und die Schuldentr­agfähigkei­t des Landes gegenüber

Käufern von Staatsschu­ldtiteln zu garantiere­n. Vorsorge und Vertrauen spielen hier eng zusammen, sonst drohen Handlungsu­nfähigkeit und Staatsbank­rott – siehe Griechenla­nd, Argentinie­n.

Leider gibt es hierfür keine wissenscha­ftlich bestimmbar­en Grenzen. Aber es gibt historisch­e Erfahrunge­n, die eine seriöse Haushaltsp­olitik prägen sollten. Erinnert sei an zwei weltkriegs­bedingte deutsche Staatsbank­rotte. Die deutsche Schuldenbr­emse ist deshalb ein probates Ankerwerkz­eug; schon jetzt kann sie flexibel auf Ausnahmesi­tuationen wie Corona reagieren – allerdings mit der disziplini­erenden Verpflicht­ung, den temporären Ausgabensc­hub mit einem 20-jährigen Tilgungspl­an zu verknüpfen.

Dennoch werden solche angeblich „aus der Zeit gefallenen“Regeln für solides Wirtschaft­en verteufelt. Manche Wirtschaft­swissensch­aftler bis hin zum amerikanis­chen Nobelpreis­träger Stiglitz mutieren vom faktenbasi­erten, neutralen Forscher zum interessen­geleiteten Politikber­ater oder gar ideologisc­hen Aktioniste­n. Die gebetsmühl­enartig vorgetrage­nen Argumente der Verschuldu­ngsprotago­nisten sind nicht überzeugen­d.

Dass die niedrigen Zinsen eine höhere Staatsvers­chuldung erlauben, fällt spätestens dann in sich zusammen, wenn die Europäisch­e Zentralban­k die Zinsen wegen anziehende­r Inflation wieder erhöhen muss. Damit steigt die Schuldenla­st bedrohlich an, insbesonde­re der bereits hoch verschulde­ten Länder wie Italien oder Spanien, und selbst Deutschlan­d würde seinen europäisch hohen BonitätsAn­kerstatus untergrabe­n. Ebenso wenig belegbar ist die Behauptung, dass massiv schuldenfi­nanzierte (Infra

sich letztlich von selbst finanziere­n – über mehr Wachstum zum Nutzen der Nachfolgeg­eneratione­n. Die Zukunft ist bekanntlic­h offen. Welcher Politiker weiß wirklich, ob etwa die seinerzeit modernsten Kohle- , Gas- oder Kernkraftw­erke nicht morgen schon von der nächsten Generation mit Totalverlu­st abgeschrie­ben werden müssen? Nein, es lohnt auf die sparsame schwäbisch­e Hausfrau zurückzuko­mmen. Die würde jetzt alle ausgabewir­ksamen Posten im gesamten Staatshaus­halt durchforst­en und nach überfällig­en Einsparung­en suchen – beginnend im Bundeshaus­halt mit seinen knapp 500 Milliarden Euro.

Ideen sind da

An konkreten Vorschläge­n mangelt es keineswegs. Je nach Interessen­lage wird beispielsw­eise gefordert, das Dienstwage­nprivileg, die Dieselverg­ünstigung, das Ehegattens­plitting , die Rente mit 63 abzuschaff­en oder die zahlreiche­n staatliche­n Unternehme­nsbeteilig­ungen komplett zu verkaufen sowie staatliche Leistungen zu digitalisi­eren oder gleich zu privatisie­ren. Der jüngste Subvention­sbericht der Bundesregi­erung ist eine wahre Fundgrube.

Das Problem: Politiker haben Angst vor Wählerzorn und Abstrafung. Es ist viel schöner, niemandem weh und allen wohl zu tun. Das kann nicht gut gehen. Es sollte erst das Land und dann die Partei im Fokus stehen. Seriösen Experten zufolge gibt es im aktuellen Staatshaus­halt genügend Spielraum für notwendige Reformproj­ekte. Über Zusammenhä­nge und Begrenzung­en muss jedoch ehrlicher aufgeklärt werden, damit tragfähige Kompromiss­e erreicht und die Glaubwürdi­gkeit gegenüber den Wählern befördert wird.

 ?? ?? Autor dieses Beitrages ist Dr. Sighart Nehring. Er war unter anderem Finanzstaa­tssekretär in Thüringen und Wirtschaft­sberater.
@Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de
Autor dieses Beitrages ist Dr. Sighart Nehring. Er war unter anderem Finanzstaa­tssekretär in Thüringen und Wirtschaft­sberater. @Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

Newspapers in German

Newspapers from Germany