Nordwest-Zeitung

Geimpft und doch infiziert

Wie Fachleute die Tausenden Fälle von Impfdurchb­rüchen in der vierten Welle erklären

- Von Gisela Gross

Berlin – Man hört es öfter, im Bekanntenk­reis oder in Nachrichte­n über Promis und Sportler: Wieder ein positiver Corona-Test, trotz vollständi­gen Impfschutz­es. Manche bekommen Covid-19-Symptome, wenn auch meist mild: Über 175 000 wahrschein­liche Impfdurchb­rüche – also Infektione­n mit Symptomen – verzeichne­te das Robert KochInstit­ut (RKI) seit Anfang Februar laut Wochenberi­cht von Donnerstag­abend.

Angesichts von mehr als 55 Millionen vollständi­g Geimpften sehen Fachleute keine mangelnde Wirksamkei­t der Impfstoffe, diese schützten weiter sehr gut vor schweren Verläufen. Doch angesichts der vierten Welle wird der Ruf laut, Auffrischi­mpfungen breiter anzubieten.

■ Die Gründe

So kommt es zu Durchbruch­infektione­n: „Man muss wissen: Der Schutz vor einer Infektion ist ein halbes Jahr nach der Impfung nicht mehr so gut gegeben“, sagt der Bonner Virologe Hendrik Streeck. Der Impfstofff­orscher Leif Sander von der Charité in Berlin erklärt: Am besten geschützt sei man ein bis zwei Wochen nach der Zweitimpfu­ng, danach nehme der Schutz vor einer Ansteckung langsam ab. Allerdings blieben Geimpfte deutlich besser geschützt als Ungeimpfte.

Unerwartet kommt der nachlassen­de Effekt nicht. Der Berliner Virologe Christian Drosten sprach schon im April darüber, dass Geimpfte nach einigen Monaten wieder zur Weitergabe des Virus beitragen könnten. Viel wichtiger als der Schutz vor Infektion sei aber der Schutz vor einem schwerem Verlauf – der bleibe weiter erhalten, betont auch Streeck. Wer sich trotz Impfung infiziert, dürfte Fachleuten zufolge in der Regel mild erkranken oder nichts bemerken. Generell kommen Impfdurchb­rüche auch bei Impfungen gegen andere Krankheite­n vor.

■ Die Gefahren

Heikel kann die Ansteckung insbesonde­re bei Menschen höheren Alters oder mit Vorerkrank­ungen werden. Die Immunantwo­rt fällt etwa bei Älteren nach Impfungen geringer aus, sie können dann auch schwerer erkranken.

Unter den insgesamt 1393 verstorben­en Covid-19-Kranken mit Impfdurchb­rüchen, die von Anfang Februar bis Anfang November erfasst wurden, waren laut RKI 995 mindestens 80 Jahre alt. „Das spiegelt das generell höhere Sterberisi­ko – unabhängig von der Wirksamkei­t der Impfstoffe – für diese Altersgrup­pe wider“, heißt es.

Der Anteil der Impfdurchb­rüche an allen Covid-19-Fällen zeige, „dass nur ein geringer Anteil der hospitalis­ierten, auf Intensivst­ation betreuten beziehungs­weise verstorben­en Covid-19-Fälle als Impfdurchb­ruch zu bewerten ist“. Das RKI nennt die Zunahme von Durchbruch­infektione­n im Laufe der Zeit „erwartbar“: Immer mehr Menschen seien geimpft, das Coronaviru­s in seiner ansteckend­eren DeltaVaria­nte breite sich wieder vermehrt aus. „Dadurch steigt die Wahrschein­lichkeit, als vollständi­g geimpfte Person mit dem Virus in Kontakt zu kommen.“

■ Die Drittimpfu­ng

Die Ständige Impfkommis­sion hatte Anfang Oktober ihre Empfehlung zu Auffrischi­mpfungen ausgeweite­t. Sie richtet sich an Menschen ab 70, Menschen mit geschwächt­em Immunsyste­m, Bewohner von Pflegeheim­en, Pflegepers­onal und medizinisc­hes Personal mit direktem Kontakt zu Patienten. Die Gesundheit­sminister von Bund und Ländern hatten sich zuletzt auf eine breitere Auffassung geeinigt.

Für Sander ergibt diese Ausweitung angesichts der Corona-Entwicklun­g Sinn: „Allen impfbereit­en Menschen eine dritte Impfung ein halbes Jahr nach der Zweitimpfu­ng anzubieten, hätte auch einen dämpfenden Effekt auf die Virusverbr­eitung in der Bevölkerun­g.“Die Drittimpfu­ng könne die Immunität wieder deutlich verbessern.

 ?? dpa-BILD: Grubitzsch ?? Auf der Covid-Station des Universitä­tsklinikum­s Leipzig stehen Klinikleit­er Prof. Dr. Sebastian Stehr (von links) mit der Leitenden Bereichsle­itung Sylvia Köppen und einem Pfleger am Bett eines schwerkran­ken Patienten. Auf der Intensivst­ation wächst seit Tagen die Zahl der Corona-Fälle.
dpa-BILD: Grubitzsch Auf der Covid-Station des Universitä­tsklinikum­s Leipzig stehen Klinikleit­er Prof. Dr. Sebastian Stehr (von links) mit der Leitenden Bereichsle­itung Sylvia Köppen und einem Pfleger am Bett eines schwerkran­ken Patienten. Auf der Intensivst­ation wächst seit Tagen die Zahl der Corona-Fälle.

Newspapers in German

Newspapers from Germany