Tiefer Einschnitt für Liberale
Analyse Was bedeutet das neue Bündnis mit SPD und Grünen für die FDP?
Plötzlich holen den Altliberalen die Emotionen von vor 39 Jahren wieder ein. Die Stimme wird brüchig, als er von seinem allerersten Bundesparteitag 1982 spricht. Für Detlef Parr (79) aus Ratingen, heute Chef der Liberalen Senioren, ist die Erinnerung an den Koalitionswechsel von der Seite der SPD an die Seite der Union mit seinen Auswirkungen auf das innere Gefüge der Liberalen immer noch ein „tieftrauriger Akt“. Insofern dürfte der bevorstehende Eintritt der FDP in eine SPD-geführte Bundesregierung die Liberalen erneut verändern.
Zünglein an der Wage
Gleich nach den ersten Bundestagswahlen waren die Liberalen an der Seite von Konrad Adenauers CDU in die Regierung eingetreten, hatten das Bild vom bürgerlich gestalteten Aufstieg des Wirtschaftswunderlandes mit geprägt. Erst zwei Jahrzehnte später verhalf die FDP Willy Brandts SPD zur Macht. Zahlreiche Austritte konservativer Liberaler waren die Folge. 1982 dann der Wechsel zur Union, der ebenfalls viele Mitglieder aus der Partei trieb. 52 Jahre nach der ersten Koalition mit der SPD haben sich die Liberalen nun wieder für eine PartViele, nerschaft mit der Sozialdemokratie entschieden. So gesehen also ein historischer Akt.
Der Wechsel läuft dieses Mal anders als 1969 und 1982. Parteichef Christian Lindner hatte während des gesamten Wahlkampfes 2021 auf eine neue CDU-geführte Koalition gesetzt, die größeren Schnittmengen betont und immer wieder klar gemacht, ihm fehle die Fantasie, sich ein AmpelBündnis vorzustellen.
Dagegen zeichnete sich 1982 der Schwenk über viele Monate ab, hatte es 1969 eine
mehrjährige Vorbereitung gegeben – maßgeblich mitgesteuert vom damaligen Chef der FDP-Jugend, Gerhart Baum. Sie hätten damals den Wechsel „aktiv gestaltet“, erinnert sich der 89-Jährige.
Parteichef Walter Scheel sei 1969 nach der Wahl ins Präsidium gekommen und habe gesagt: „Ich habe eben mit Willy Brandt telefoniert, wir machen jetzt eine sozialliberale Koalition. Wer das nicht will, kann gehen.“Für Baum eine
„sehr mutige Entscheidung“, weil Scheel riskierte, Mitglieder, Wähler und Mandatsträger zu verlieren. Tatsächlich verließen die Nationalliberalen die Partei in Scharen. Selbst der vormalige Vorsitzende Erich Mende trat aus und zur CDU über.
Die Partei veränderte sich nachhaltig. Ausgehend von den beiden Hauptmotiven für den Wechsel – neue Ostpolitik und Innere Reformen – ging die FDP daran, ihr gesamtes inhaltliches Profil zu erneuern. Genau vor 50 Jahren stellte sie sich mit den Freiburger Thesen neu auf. Sie lesen sich in Teilen überraschend frisch. So könnten die Grünen die damalige zentrale These der FDP zur Umweltpolitik bei den aktuellen Klimaschutzverhandlungen durchaus auf den Tisch legen. „Umweltschutz hat Vorrang vor Gewinnstreben und persönlichem Nutzen“, lautete sie. Und es war die FDP, die – lange vor dem Entstehen der Grünen – daranging, das erste Umweltministerium innerhalb des Innenressorts zu etablieren, das erste Umweltschutzpaket auf den Kabinettstisch zu legen.
die 1969 den Wechsel gewollt hätten, hätten 1982 die Partei leider verlassen. Aber Baum spürt jetzt einen anderen Trend: „Heute sammeln sich wieder Sozialliberale in der FDP.“Das Freiburger Programm werde wieder in der Partei diskutiert, in Foren besprochen und aktualisiert.
Linksruck in der FDP?
Nach vielen Jahren, in denen das Sozialliberale in der FDP „völlig weggedrückt“worden sei, hat Baum ein neues FDP-Gefühl: „Jetzt fühle ich mich wieder wohler.“Baum bringt sogar eine Übersetzung der damaligen FDP-Grundsätze für die aktuelle PandemieHerausforderung: Impfpflicht sei unter bestimmten Bedingungen genauso unverzichtbar wie Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen.
Baum geht davon aus, dass die Parteien sich in der neuen Koalition verändern werden. Sie würden zwar nicht ihre Identität, aber doch ein paar Dinge aufgeben müssen, um erfolgreich zusammen regieren zu können. „Das ist bei der FDP die krankhafte Neigung, Staatseingriffe abzulehnen“, erläutert Baum. Verändern müssten sich hier auch die Grünen, die „viel zu viel Vertrauen in den Staat“hätten.