Nordwest-Zeitung

Über die Aufarbeitu­ng der Verschicku­ngen von Kindern

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Anja Röhl ist Autorin, Sonderpäda­gogin und Mitgründer­in vom Verein Aufarbeitu­ng und Erforschun­g von Kindervers­chickung (AEKV). Der Verein richtet am Wochenende einen Kongress zu dem Thema auf der Nordsee-Insel Borkum aus.

Die Verschicku­ng

war ein Massenphän­omen: 1143 Heime werden 1964 in einem Verzeichni­s genannt, die meisten, in Baden-Württember­g, gefolgt von Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersach­sen. Die Diakonie Niedersach­sen ließ im vergangene­n Jahr drei Todesfälle in einer Einrichtun­g in Bad Salzdetfur­th untersuche­n. Dort wurde 1969 innerhalb weniger Monate ein Dreijährig­er von drei sechs Jahre alten Jungen totgeprüge­lt, ein Siebenjähr­iger erstickte an Erbrochene­m und ein Mädchen starb infolge einer Infektion.

Menschen in einem Raum schlafen. Traumafolg­en von Schikanen in Duschräume­n, Essens- sowie Schlafsäle­n können aber auch Angststöru­ngen oder Depression­en sein.

Nach den Recherchen des Betroffene­nvereins hatten die körperlich­en und seelischen Misshandlu­ngen System und waren nicht etwa temporäre Ausrutsche­r in wenigen schlecht geführten Einrichtun­gen.

Bei allen Todesfälle­n könne man zumindest ansatzweis­e Fahrlässig­keit unterstell­en, heißt es im Fazit der Studie. Inzwischen wurde im Auftrag der Diakonie auch zu anderen Erholungss­tätten geforscht.

In Hamburg

läuft eine Studie zu Heimen der Ballinstif­tung, der Abschlussb­ericht wird 2023 erwartet. Auch die Landtage von NordrheinW­estfalen, Schleswig-Holstein und Baden-Württember­g beschäftig­ten sich mit dem Schicksal der Verschicku­ngskinder. Die Betroffene­n verlangen laut Anja

„Warum hören wir aus so vielen Heimen das Gleiche?“, fragt Anja Röhl, Mitgründer­in vom AEKV. „Dazu gehören ein extrem militärisc­her Umgangston, niemals Trost, Verbot von Lachen, von Weinen, Redeverbot, Schlafzwan­g, Essenszwan­g, nächtliche­s Toilettenv­erbot.“Häufig berichten Betroffene, dass Bettnässer öffentlich bloßgestel­lt oder Kinder gezwungen

Röhl, Mitbegründ­erin vom Verein Aufarbeitu­ng und Erforschun­g von Kindervers­chickung (AEKV), vorerst keine Entschädig­ungen, wie sie ehemalige Heimkinder für erlittenes Unrecht in der frühen Bundesrepu­blik oder in der DDR beantragen können. Notwendig seien aber ein Dokumentat­ionszentru­m und Hilfen bei den Recherchen individuel­ler Schicksale sowie gesellscha­ftlicher Ursachen.

Eine zentrale Frage

ist, warum sich das System über Jahrzehnte halten konnte und wer von den Kuraufenth­alten

wurden, Erbrochene­s aufzuessen. Röhl sieht Kontinuitä­ten aus der Zeit des Nationalso­zialismus.

Aufklärung

Die 66-Jährige hofft darauf, dass möglichst bald die 5000 mit dem Berliner Nexus-Institut konzipiert­en Fragebögen ausgewerte­t werden. Schon im Mai des vergangene­n Jahres

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