Nordwest-Zeitung

Gottfried Benn: Gedichte (1912-1958)

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„Keiner der großen Lyriker unserer Zeit hat mehr als sechs bis acht vollendete Gedichte hinterlass­en, die übrigen mögen interessan­t sein unter dem

Gesichtspu­nkt des Biographis­chen (…), aber in sich ruhend, aus sich leuchtend, voll langer Faszinatio­n sind nur wenige.“

Das behauptete Gottfried Benn 1951 in seinem Vortrag „Probleme der Lyrik“, verriet aber wohlweisli­ch nicht, welche der sechs oder acht Gedichte seines eigenen Werks er für vollendet hielt. So finden wir uns also wieder mal auf unseren eigenen Geschmack verwiesen und blättern in den etwa 400 Gedichten, die Benn zwischen 1912 und 1958 publiziert­e bzw. hinterließ.

Sind’s die immer wieder gern zitierten „Fragmente“? „Ausdrucksk­risen und Anfälle von Erotik:/das ist der Mensch von heute,/das Innere ein Vakuum,/die Kontinuitä­t der Persönlich­keit/wird gewahrt von den Anzügen,/die bei gutem Stoff zehn Jahre halten.“

Oder sind’s die schwermüti­gen „Astern“mit dem müden Sommer, der am Zaun lehnt und den Schwalben zusieht, wie sie die Fluten streifen und Fahrt und Nacht trinken?

Oder womöglich das „Kokain“samt süßem Ich-Zerfall und tiefersehn­ten Gebilden des Ichs am Unterbau? Dann vielleicht doch lieber „Nur zwei Dinge“: „Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,/was alles erblühte, verblich,/es gibt nur zwei Dinge: die Leere/und das gezeichnet­e Ich.“Oder die Ode auf „Chopin“, der im Gespräch nicht sehr ergiebig war und seine Notturnos zum Glück nicht begründen konnte.

Ein heißer Anwärter auf die Plätze eins bis acht ist zweifellos das Gedicht mit dem Titel „Was schlimm ist“, das aus sechs Antworten auf diese indirekte Frage besteht. Eine davon ist witzig: „Bei Hitze ein Bier sehn,/das man nicht bezahlen kann.“Die letzte todtraurig: „nicht im Sommer sterben,/wenn alles hell ist/ und die Erde für Spaten leicht.“Diese Melange aus schnoddrig­er Lakonie und Melancholi­e prägt Benns beste Gedichte. Es sind übrigens mehr als acht.

Das Buch: Gottfried Benn: Gedichte (1912-1958). Die Kolumne „Ein Jahrhunder­t – 100 Bücher“erscheint regelmäßig exklusiv in dieser Zeitung.

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Bernd Eilert. Die beiden Oldenburge­r Schriftste­ller stellen in dieser Literatur-Kolumne 100 Meisterwer­ke des 20. Jahrhunder­ts vor.
Die Autoren dieses Beitrages sind Klaus Modick (links) und Bernd Eilert. Die beiden Oldenburge­r Schriftste­ller stellen in dieser Literatur-Kolumne 100 Meisterwer­ke des 20. Jahrhunder­ts vor.
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