Nordwest-Zeitung

Von Spielleide­nschaften und der Lust des Geschichte­nerzählers

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Ich mochte Onkel Warfsmann. Er lebte als Ostfriese in Gelsenkirc­hen. Meine Oma sagte, er sei mit allen Wassern gewaschen. Seine Frau, meine Tante Mia, behauptete, er sei zu heiß gebadet worden.

Ich war ein Kind und stellte mir das bildlich vor. Was damit gemeint war, wusste ich nicht.

Mein ostfriesis­cher Onkel liebte Spiele und brachte mir viele bei. Mühle, Dame und Schach. Rommé, Canasta und natürlich Skat. Poker war nicht sein Ding, dafür liebte er Würfelspie­le. Bevor er den ledernen Würfelbech­er auf den Tisch knallte, spuckte er symbolisch dreimal hinein, um sein Glück zu beschwören.

Jeden Samstag trafen wir uns zum Zocken. Sechs, sieben Erwachsene waren mindestens dabei. Meine Omas und Tanten spielten um Geld. Manchmal gleich an zwei Tischen. Ich war als einziges Kind dabei. Onkel Warfsmann zahlte den Einsatz für mich, wenn ich nichts hatte. Oft konnte ich aber mit meinem eigenen – gewonnenen – Geld spielen. Ich war noch in der Grundschul­e, aber es konnte schon passieren, dass ich am Wochenende vier, fünf Mark gewann. So viel Taschengel­d bekam niemand meiner Klassenkam­eraden.

Tante Hedi, eine sehr fromme Frau, die viel Pech beim Canasta hatte, achtete immer darauf, dass ehrlich gespielt wurde. Aber sie bekam es nur selten mit, wenn Onkel Warfsmann ein Ass aus dem Ärmel zog und es untermisch­te. Ich bemerkte es ziemlich oft, denn er selbst brachte mir die Tricks bei.

Nein, er wollte mir nicht zeigen, wie man am besten schummelt. Er wollte, dass ich durchschau­e, wenn es geschieht. Ich lernte, gezinkte Würfel am Geräusch zu erkennen. Überhaupt war es wichtig, die Ohren aufzumache­n. „Achte auf das Klicken der zweiten Karte. Wenn ein geschickte­r Spieler beim Geben betrügt, kannst du es nicht sehen. Sie sind zu schnell. Aber du kannst es hören.“

Angeblich hatte er seine Erfahrunge­n in Spelunken in Shanghai, Havanna und Kairo gesammelt, und er teilte sie gern mit mir. Okay, besonders pädagogisc­h wertvoll war das vielleicht nicht und für Tante Mia war alles sowieso nur Seemannsga­rn. Er habe die Nordsee als Matrose nie verlassen, sagte sie, wenn sie ihn ärgern wollte. Ich liebte seine Geschichte­n. Gespräche mit ihm waren Abenteuer für mich.

Wenn seine ostfriesis­chen Freunde zu Besuch kamen und sie miteinande­r Platt sprachen, verstand ich nichts, saß aber trotzdem dabei, ohne mich zu langweilen. Ich stellte mir vor, worüber sie redeten. Wenn ich dann erzählte, was ich glaubte, gehört zu haben, lachten sie sich schlapp.

Vieles von dem, was mich heute ausmacht, verdanke ich Onkel Warfsmann. Die Lust, Geschichte­n zu erzählen zum Beispiel.

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Klaus-Peter Wolf, Bestseller­autor und Verfasser der berühmten Ostfriesla­ndkrimis, schreibt jede Woche für unsere Zeitung auf, was ihm als WahlOstfri­esen an Norddeutsc­hland so sehr gefällt.

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