Ära des Musterdorfs endet nach 35 Jahren
Haßloch galt als Blaupause für ganze Republik – Forscher setzen auf Online-Erhebung
Haßloch/Nürnberg – Es ist das Ende einer Ära. Seit 35 Jahren wohnt die oft zitierte Durchschnittsfamilie Mustermann in Haßloch. Was die rund 20 000 Menschen in dem pfälzischen Dorf umtreibt, ist typisch für ganz Deutschland – das hatte das Marktforschungsinstitut GfK einst herausgefunden. Demnach entsprechen die Handelslandschaft und die Struktur der Haushalte, etwa das Mengenverhältnis von Kindern, Rentnern und Familien, fast genau dem der gesamten Republik. Haßloch gilt als Deutschland in Klein. Das macht den Ort für Test- und Marktentscheidungen attraktiv.
Netz statt Plastikkarte
Seit 1986 ist die Gemeinde, die etwa 20 Kilometer südwestlich von Mannheim liegt, ein GfK-Testmarkt für Neues. Tausende entscheiden mit ihren Einkäufen über Top oder Flop – und bestimmen zuminauch dest ein wenig mit, welche Schokoriegel oder Deos auf den Markt kommen – bisher. Zum Jahresende ist das vorbei.
Künftig setzt GfK verstärkt auf Erhebungsmethoden wie Smartphone-Apps und Online-Befragungen – statt wie bisher auf eine Plastikkarte, die dokumentiert, was in Haßloch gekauft wird.
„Wir haben erst kürzlich eine auf künstlicher Intelligenz basierte Software-Plattform gestartet“, sagt GfK-Sprecher Kai Hummel. Sie beantworte den Kunden des Nürnberger Daten- und Marktforschungsinstituts weltweit in Echtzeit Fragen wie: Was wurde wo gekauft und zu welchem Preis? Wer hat gekauft und warum? „In dieses Werkzeug fließen Daten von mehr als 100 000 unserer DatenPartnerinnen und -Partner weltweit ein.“Diese Daten verknüpfe das Unternehmen unter anderem mit Befragungen zum Kaufverhalten. „Das ist die Zukunft der Marktforschung, wenn Sie so wollen“, sagt Hummel.
Hinzukommen weitere Faktoren – etwa Jobabbau oder Reisebeschränkungen, aber die Auswertung von Internet-Suchbegriffen. „Letztlich ergänzen wir makroökonomische Faktoren wie etwa das Bruttoinlandsprodukt“, sagt Hummel.
Wehmut und Stolz
Die „Methode Haßloch“passt nach 35 Jahren nicht mehr in die Zeit. Zuletzt taten für GfK fünf Arbeitskräfte Dienst in dem Dorf. Dort sorgt die Entscheidung für gemischte Gefühle. „Man kann schon sagen, dass eine Ära zu Ende geht“, sagt Gemeindesprecher Marcel Roßmann. Auf die 35 Jahre als „Durchschnittsdorf“und die damit verbundene bundesweite Bekanntheit sei man stolz.
„Nüchtern betrachtet muss man sagen, dass sich im täglichen Leben durch den Wegfall nicht wirklich viel ändert“, meint Roßmann. Die Testprodukte seien nie sehr sichtbar gewesen und nie als solche beworben worden. „Es waren nur einige Artikel von vielen im Laden.“