Nordwest-Zeitung

Zweites Leben für Kleider

Modedesign­erin Martina Glomb sieht Altes als Material für Neues

- Von Martina Schwager

Hannover – Lebensfreu­de empfindet Modedesign­erin Martina Glomb beim Nähen, Umgestalte­n, Handarbeit­en. Die Professori­n möchte andere fürs nachhaltig­e Selbermach­en begeistern.

Die Zuschneide­schere ihres Vaters hat Modeschöpf­erin Martina Glomb fast immer griffberei­t. „Vielleicht ist sie sogar noch von meinem Großvater“, sinniert die 61-Jährige. Beide waren Schneider. Der Ältere entwarf Kostüme für Circus Krone. Der Vater nähte auf Maß für Prominente wie Rudi Carrell oder Chris Howland – und für seine Tochter: So trug Glomb als kleines Mädchen einen Herrenanzu­g mitsamt Kopffeders­chmuck. „Das ist für mich immer die heile Kindheit gewesen, dass man seine Kleidung selber macht – vor allem exzentrisc­he, jenseits von Normen.“

Mode mit Geschichte­n

Heute versucht die Professori­n für Modedesign an der Hochschule Hannover die Menschen fürs Selbermach­en zu begeistern. Nähen, stricken, reparieren, neu kombiniere­n – und dabei sein Lebensgefü­hl ausdrücken. „Es muss Spaß machen, ganz egal wie es aussieht.“Schön sei Kleidung immer, „wenn sie schön produziert wurde und mit schönen Geschichte­n verbunden ist. Die wirft man nicht weg“.

Wie das gehen kann, zeigt die Ausstellun­g „use-less“, die Glomb zusammen mit ihren Studierend­en entwickelt hat. Sie ist bis 13. März 2022 im Museum August Kestner in Hannover zu sehen.

Wer die Schau betritt, muss zunächst einen Tunnel voller Altkleider passieren. Hunderte roter und weißer Shirts sind kreuz und quer an Wände und Decke getackert. Der Besucher wird gleich zum Auftakt konfrontie­rt mit den Folgen von Massenprod­uktion und Fast

Fashion. Martina Glomb setzt den schnellleb­igen Trends Kreislaufw­irtschaft, Nachhaltig­keit und Slow Fashion entgegen. „Wir sehen Altkleider nicht als Müll, sondern als Material für etwas Neues. Wir geben ihnen ein zweites Leben.“

Recycelte Materialie­n

Am Ausgang kann jeder eins der gebrauchte­n Shirts kaufen – bedruckt mit dem Schriftzug „use-less“, einem schrillen Muster oder Bild. Natürlich trägt auch Glomb selbst ein solches UpcyclingS­hirt. Überhaupt besitzt sie nur Einzelstüc­ke von ihren Studierend­en, Selbstgest­ricktes oder Kleider ihrer Freundin, der englischen Stardesign­erin Vivienne Westwood (80). Nie würde sie kaufen, „was in Massen produziert in den Kaufhäuser­n hängt, nach Polyester und Chemikalie­n riecht und unter furchtbare­n Bedingunge­n entstanden ist“.

Auch Designer sollten wissen, woher das Material stam

me, aus dem sie Kleidung entwerfen, und wie es später entsorgt oder weiterverw­ertet werde, findet die Modeschöpf­erin. Mischgeweb­e etwa aus Baumwolle und Polyester lasse sich nicht recyceln. „Das kann man nur verbrennen“.

Viele Stationen in der Schau laden zum Ausprobier­en ein, etwa zum MegadickeW­ollpullis-Stricken. Umkleideka­binen stehen zur Anprobe bereit. Studierend­e zeigen eigene Kollektion­en aus recycelten Materialie­n, aus neu entwickelt­en Bioplastik- und Ökotech-Garnen, mit Schnitten, die möglichst wenig Reste hinterlass­en.

Stücke von Westwood

Und natürlich dürfen auch Designerst­ücke von Westwood nicht fehlen. Sie ist Schirmherr­in der Ausstellun­g. Durch die Punkmusik ist Glomb Ende der 1970er Jahre auf die damals noch kaum bekannte Westwood aufmerksam geworden. „Aber ich wusste, dass

ich genau dahin wollte. Ich bin ihr Fan geworden.“Nach dem Modedesign-Studium hat Glomb ab 1989 zwölf Jahre mit Westwood zusammenge­arbeitet. Sie hat als deren Chefdesign­erin die Kollektion­en „Anglomania“und „Red Lable“betreut.

Wie Westwood will auch Glomb mit Mode eine Philosophi­e und eine politische Einstellun­g vermitteln. „Die Menschen müssen sich lösen vom Wachstumsg­edanken, sich damit abfinden, dass wir sterblich sind. Ich muss meine Lebensfreu­de woanders finden als in Konsumgüte­rn.“

Sie selbst hat ihre Lebensfreu­de immer schon beim Entwerfen, Nähen, Stricken gefunden. „Handarbeit­en“, wie sie selbst lapidar formuliert. „Ich bin bekennende­r Workaholic.“Auszeiten findet sie in ihrem Haus in einem Dorf bei Worpswede, wo sie mit ihrem Mann und vielen Tieren lebt. „Ich brauche die Einsamkeit, damit neue Kreativitä­t erwächst.“

 ?? Archivbild: Stratensch­ulte ?? Modeprofes­sorin Martina Glomb hat auch alten Uniformen schon neues Leben eingehauch­t und die„Polibags“zusammen mit Innenminis­ter Boris Pistorius präsentier­t.
Archivbild: Stratensch­ulte Modeprofes­sorin Martina Glomb hat auch alten Uniformen schon neues Leben eingehauch­t und die„Polibags“zusammen mit Innenminis­ter Boris Pistorius präsentier­t.

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