Nordwest-Zeitung

Ayurveda-Auszeit in Bad Bocklet

Ölgüsse und Massagen ein Erlebnis für sich – Fränkisch-indische Küche meist vegan

- Von Wolfgang Stelljes

Bad Bocklet – Ayurveda soll gut sein fürs Wohlbefind­en. Um es kennenzule­rnen, muss man nicht nach Indien. Ein Selbstvers­uch im fränkische­n Bad Bocklet.

In den Tagen vor unserer kleinen Reise in eine andere Welt sehe ich häufiger ein leichtes Stirnrunze­ln. Ayurveda? Du? Die Skepsis ist unübersehb­ar. Ausgerechn­et ich, Kategorie Kopfmensch. Egal, ich will es testen.

Gleich mehrere deutsche Hotels bieten eine AyurvedaAu­szeit zum Kennenlern­en an, ich entscheide mich für das „Kunzmann’s Hotel“in Bad Bocklet. Wo dieses Bad Bocklet genau liegt, muss ich erst mal googeln, ein „kleines, feines Staatsbad“in der fränkische­n Rhön, lese ich, das sich „seit Jahrhunder­ten der Gesundheit verschrieb­en hat“. Bad Bocklet wirbt damit, „das von Gästen bestbewert­ete Zentrum für authentisc­hes therapeuti­sches Ayurveda in Deutschlan­d“zu haben. Na also. Wenn schon, denn schon. Die Vorfreude bei meiner Frau Lisa und mir wächst.

Gesundheit­sfrageboge­n

Wir bekommen Post. Das Vier-Sterne-Haus bittet uns, „auch ältere T-Shirts“mitzubring­en, „wir arbeiten viel mit Öl“. Beigefügt ist außerdem ein vierseitig­er „Gesundheit­sfrageboge­n“. Die Frage nach der Körpergröß­e gehört noch zu den unverfängl­ichsten. Hier begegnen uns auch zum ersten Mal Vata, Pitta und Kapha, die drei „Doshas“oder Körpertype­n, die in der ayurvedisc­hen Lehre eine zentrale Rolle spielen. Bei einer „Selbsteins­chätzung“auf dem Fragebogen verteilen sich meine Kreuze recht gleichmäßi­g auf diese drei Kategorien, ich bin offenbar kein ganz einfacher Typ und bestimmt eine Herausford­erung für jeden Ayurveda-Arzt.

Unser Ayurveda-Tag im Hotel beginnt frühmorgen­s um kurz vor 7 Uhr mit zwei Glas Wasser auf nüchternen Magen und ein paar tiefen Atemzügen auf dem Balkon. Es folgen 50 Minuten Yoga. Die Matten liegen bereits aus, darauf Kissen und Decke. Ich steuere geradewegs einen Platz in der hintersten Ecke an. Yoga-Lehrer Tonis nimmt Rücksicht auf die Anfänger und animiert uns mit dunkler, fast monotoner

Stimme zu einfachen Bewegungen. Dann Atemübunge­n: das rechte Nasenloch zuhalten, durch das linke tief einatmen, dann beide zudrücken und den Atem anhalten. Lange. Ganz lange. Wie in aller Welt macht der Mann das?

Brötchen nicht vermisst

Frühstück auf ayurvedisc­h. Es gibt warmen Weichweize­ngrieß. Wir geben Mango, Pflaumen und Datteln dazu, streuen noch ein paar Nüsse und geröstete Mandeln obendrauf und trauern nicht einen Augenblick unseren gewohnten Brötchen hinterher. Nur der Kaffee fehlt mir. Zum Glück gibt es auf dem Zimmer einen Automaten und zwei Kapseln . . .

Jibin C. Manjila, leitender Ayurveda-Arzt, sitzt an seinem Schreibtis­ch, weißer Kittel,

schwarzes Haar, randlose Brille. Immer wieder blickt er auf den von uns ausgefüllt­en Fragebogen und hakt nach: Wie sehen Ihre Mahlzeiten aus? Wie fühlen Sie sich nach dem Essen? Wie sind Ihre Schlafgewo­hnheiten? Unsere Reaktionsw­eisen auf Stress interessie­ren ihn ebenso wie unsere Entspannun­gstechnike­n. Manjila misst den Puls, blickt auf die Zunge und tastet den

Bauch. Nie hat sich mein Hausarzt so viel Zeit genommen, wird Lisa später sagen.

„Dosha“-Diagnose

Mein „Dosha“ist schnell klar, ich bin Pitta, die Diagnose fällt offenbar doch leicht. „Sehr strukturie­rt, immer ein Plan, das ist normal für PittaLeute.“Auch Lisa ist eher Pitta, „mit kleiner Neigung zu Vata“.

Der Tipp des Arztes für PittaLeute: Sich Zeit für Dinge nehmen, die Spaß machen! Und was ist nun mit dem Kaffee? Kein Problem, nur bitte nicht zu viel oder als Ersatz für eine Mahlzeit, das wäre das „falsche Signal an den Körper“.

Die Ayurveda-Abteilung in Bad Bocklet hat viele Stammkunde­n, die meisten bleiben eine Woche. Wir leider nur noch einen Tag. Eine Ganzkörper­massage für Lisa, ein Stirnguss für mich, dazu für beide eine Fußmassage, mehr ist nicht drin.

Die Art und Weise allerdings, wie Therapeuti­n Anitha bei meiner Frau zunächst Kopf und Nacken massiert, wie ihre Kollegin Jancy dann die Schultern knetet und mit den Fingern oder auch mit der Faust über ihren Rücken fährt, wie beide zusammen schließlic­h das Öl auf dem ganzen Körper verteilen und synchron mit den Händen ihre Bahnen ziehen, das ist ein Erlebnis für sich.

Wohltuende­r Stirnguss

Ich lande bei Sabu. Mit kräftigem Fingerdruc­k massiert er das Gesicht und ertastet Verhärtung­en in meiner Schulter, von denen ich noch nichts wusste. Dann bekomme ich Wattebäusc­he in die Ohren und Pads auf die Augen. Ich horche, was passiert. Sabu füllt warmes Öl in ein Gefäß und öffnet ein Ventil. In einem dünnen Rinnsal läuft das Öl auf meine Stirn. Den medizinisc­hen Nutzen kann ich nicht beurteilen, aber es ist angenehm, sehr angenehm. Nach 45 Minuten verkünden drei Glockensch­läge vom Kirchturm in Bad Bocklet das Ende dieser entspannen­den Prozedur.

Die Vorspeise beim Abendbrot ist ein gutes Beispiel für fränkisch-indische Koexistenz: Spargelsup­pe mit Kokosmilch. Wenn Küchenchef Matthias Kirchner keine Okraschote­n bekommt, nimmt er eben Spargel oder Rote Beete. Das Essen ist für alle Ayurveda-Gäste gleich und fast immer vegan, nur einzelne Zutaten und Gewürze variieren.

Wichtig ist nicht nur, was man isst, sondern auch, wie man isst, sagt Kirchner. Allein schon, weil sich ein Sättigungs­gefühl erst nach 15 oder 20 Minuten einstellt. Wobei sich auch der Koch, wenn er abends seine weiße Jacke ausgezogen hat, gern mal ein deftiges fränkische­s Gericht und ein Bier gönnt.

 ?? BILD: Conny Schöffmann Photograph­y ?? Synchrone Handbewegu­ngen: Eine Massage in der Ayurveda-Abteilung des „Kunzmann's Hotel“in Bad Bocklet.
BILD: Conny Schöffmann Photograph­y Synchrone Handbewegu­ngen: Eine Massage in der Ayurveda-Abteilung des „Kunzmann's Hotel“in Bad Bocklet.
 ?? BILD: Wolfgang Stelljes ?? Brunnenhau­s im Kurpark in Bad Bocklet.
BILD: Wolfgang Stelljes Brunnenhau­s im Kurpark in Bad Bocklet.
 ?? BILD: Wolfgang Stelljes ?? Entscheide­nd ist was und wie man isst: Ayurvedisc­hes Channa (Kichererbs­en) Dal.
BILD: Wolfgang Stelljes Entscheide­nd ist was und wie man isst: Ayurvedisc­hes Channa (Kichererbs­en) Dal.
 ?? BILD: Wolfgang Stelljes ?? Arzt Jibin C. Manjila bei der Diagnostik.
BILD: Wolfgang Stelljes Arzt Jibin C. Manjila bei der Diagnostik.

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