Ayurveda-Auszeit in Bad Bocklet
Ölgüsse und Massagen ein Erlebnis für sich – Fränkisch-indische Küche meist vegan
Bad Bocklet – Ayurveda soll gut sein fürs Wohlbefinden. Um es kennenzulernen, muss man nicht nach Indien. Ein Selbstversuch im fränkischen Bad Bocklet.
In den Tagen vor unserer kleinen Reise in eine andere Welt sehe ich häufiger ein leichtes Stirnrunzeln. Ayurveda? Du? Die Skepsis ist unübersehbar. Ausgerechnet ich, Kategorie Kopfmensch. Egal, ich will es testen.
Gleich mehrere deutsche Hotels bieten eine AyurvedaAuszeit zum Kennenlernen an, ich entscheide mich für das „Kunzmann’s Hotel“in Bad Bocklet. Wo dieses Bad Bocklet genau liegt, muss ich erst mal googeln, ein „kleines, feines Staatsbad“in der fränkischen Rhön, lese ich, das sich „seit Jahrhunderten der Gesundheit verschrieben hat“. Bad Bocklet wirbt damit, „das von Gästen bestbewertete Zentrum für authentisches therapeutisches Ayurveda in Deutschland“zu haben. Na also. Wenn schon, denn schon. Die Vorfreude bei meiner Frau Lisa und mir wächst.
Gesundheitsfragebogen
Wir bekommen Post. Das Vier-Sterne-Haus bittet uns, „auch ältere T-Shirts“mitzubringen, „wir arbeiten viel mit Öl“. Beigefügt ist außerdem ein vierseitiger „Gesundheitsfragebogen“. Die Frage nach der Körpergröße gehört noch zu den unverfänglichsten. Hier begegnen uns auch zum ersten Mal Vata, Pitta und Kapha, die drei „Doshas“oder Körpertypen, die in der ayurvedischen Lehre eine zentrale Rolle spielen. Bei einer „Selbsteinschätzung“auf dem Fragebogen verteilen sich meine Kreuze recht gleichmäßig auf diese drei Kategorien, ich bin offenbar kein ganz einfacher Typ und bestimmt eine Herausforderung für jeden Ayurveda-Arzt.
Unser Ayurveda-Tag im Hotel beginnt frühmorgens um kurz vor 7 Uhr mit zwei Glas Wasser auf nüchternen Magen und ein paar tiefen Atemzügen auf dem Balkon. Es folgen 50 Minuten Yoga. Die Matten liegen bereits aus, darauf Kissen und Decke. Ich steuere geradewegs einen Platz in der hintersten Ecke an. Yoga-Lehrer Tonis nimmt Rücksicht auf die Anfänger und animiert uns mit dunkler, fast monotoner
Stimme zu einfachen Bewegungen. Dann Atemübungen: das rechte Nasenloch zuhalten, durch das linke tief einatmen, dann beide zudrücken und den Atem anhalten. Lange. Ganz lange. Wie in aller Welt macht der Mann das?
Brötchen nicht vermisst
Frühstück auf ayurvedisch. Es gibt warmen Weichweizengrieß. Wir geben Mango, Pflaumen und Datteln dazu, streuen noch ein paar Nüsse und geröstete Mandeln obendrauf und trauern nicht einen Augenblick unseren gewohnten Brötchen hinterher. Nur der Kaffee fehlt mir. Zum Glück gibt es auf dem Zimmer einen Automaten und zwei Kapseln . . .
Jibin C. Manjila, leitender Ayurveda-Arzt, sitzt an seinem Schreibtisch, weißer Kittel,
schwarzes Haar, randlose Brille. Immer wieder blickt er auf den von uns ausgefüllten Fragebogen und hakt nach: Wie sehen Ihre Mahlzeiten aus? Wie fühlen Sie sich nach dem Essen? Wie sind Ihre Schlafgewohnheiten? Unsere Reaktionsweisen auf Stress interessieren ihn ebenso wie unsere Entspannungstechniken. Manjila misst den Puls, blickt auf die Zunge und tastet den
Bauch. Nie hat sich mein Hausarzt so viel Zeit genommen, wird Lisa später sagen.
„Dosha“-Diagnose
Mein „Dosha“ist schnell klar, ich bin Pitta, die Diagnose fällt offenbar doch leicht. „Sehr strukturiert, immer ein Plan, das ist normal für PittaLeute.“Auch Lisa ist eher Pitta, „mit kleiner Neigung zu Vata“.
Der Tipp des Arztes für PittaLeute: Sich Zeit für Dinge nehmen, die Spaß machen! Und was ist nun mit dem Kaffee? Kein Problem, nur bitte nicht zu viel oder als Ersatz für eine Mahlzeit, das wäre das „falsche Signal an den Körper“.
Die Ayurveda-Abteilung in Bad Bocklet hat viele Stammkunden, die meisten bleiben eine Woche. Wir leider nur noch einen Tag. Eine Ganzkörpermassage für Lisa, ein Stirnguss für mich, dazu für beide eine Fußmassage, mehr ist nicht drin.
Die Art und Weise allerdings, wie Therapeutin Anitha bei meiner Frau zunächst Kopf und Nacken massiert, wie ihre Kollegin Jancy dann die Schultern knetet und mit den Fingern oder auch mit der Faust über ihren Rücken fährt, wie beide zusammen schließlich das Öl auf dem ganzen Körper verteilen und synchron mit den Händen ihre Bahnen ziehen, das ist ein Erlebnis für sich.
Wohltuender Stirnguss
Ich lande bei Sabu. Mit kräftigem Fingerdruck massiert er das Gesicht und ertastet Verhärtungen in meiner Schulter, von denen ich noch nichts wusste. Dann bekomme ich Wattebäusche in die Ohren und Pads auf die Augen. Ich horche, was passiert. Sabu füllt warmes Öl in ein Gefäß und öffnet ein Ventil. In einem dünnen Rinnsal läuft das Öl auf meine Stirn. Den medizinischen Nutzen kann ich nicht beurteilen, aber es ist angenehm, sehr angenehm. Nach 45 Minuten verkünden drei Glockenschläge vom Kirchturm in Bad Bocklet das Ende dieser entspannenden Prozedur.
Die Vorspeise beim Abendbrot ist ein gutes Beispiel für fränkisch-indische Koexistenz: Spargelsuppe mit Kokosmilch. Wenn Küchenchef Matthias Kirchner keine Okraschoten bekommt, nimmt er eben Spargel oder Rote Beete. Das Essen ist für alle Ayurveda-Gäste gleich und fast immer vegan, nur einzelne Zutaten und Gewürze variieren.
Wichtig ist nicht nur, was man isst, sondern auch, wie man isst, sagt Kirchner. Allein schon, weil sich ein Sättigungsgefühl erst nach 15 oder 20 Minuten einstellt. Wobei sich auch der Koch, wenn er abends seine weiße Jacke ausgezogen hat, gern mal ein deftiges fränkisches Gericht und ein Bier gönnt.