Nordwest-Zeitung

Karneval ohne Ende in Montevideo

Land im Rhythmus der Trommler – Murga-Gesänge ziehen Würdenträg­er durch Kakao

- Von Ute Müller

Montevideo – In keinem Land der Welt wird der Karneval so lange und so leidenscha­ftlich gefeiert wie in Uruguay. Und kaum etwas symbolisie­rt dieses Fest der Kulturen des Landes so wie der Trommeltan­z Candombe.

Wenn die Temperatur­en im Januar in Montevideo auf mehr als 30 Grad steigen, beginnt für die Bewohner der Millionens­tadt die intensivst­e Zeit des Jahres. „Wir leben das ganze Jahr auf den Karneval hin“, sagt Xamila Súarez, die gerade mit ihrer CandombeTr­uppe in einer Turnhalle im Süden der uruguayisc­hen Hauptstadt probt.

In der großen Halle steht förmlich die Hitze. Kein Wunder, mehr als 70 Trommler sind schon da und geben Xamila den Rhythmus vor. „Der Candombe, ist eine ethnische, rhythmisch­e und spirituell­e Symbiose“, erklärt die junge Frau. Grazil tanzt sie vor den Trommlern. Ihren Oberkörper und ihre Arme schwingt sie zum Takt. Mit den Füßen hingegen macht sie nur kleine Trippelsch­ritte, die an die Sklaven erinnern sollen, die im 18. Jahrhunder­t an den Füßen gefesselt hier ankamen.

Afrikanisc­he Wurzeln

Der Direktor der Truppe, die den Namen Cuareim 1080 trägt, ist die uruguayisc­he Karnevalsi­kone Waldemar Cachila Silva. Sein Vater stellte den Candombe einst dem deutschen Publikum vor, das war 1974 bei der Fußballwel­tmeistersc­haft in München. Cachila wacht über die Choreograp­hie. Die glitzernde­n, knapp geschnitte­nen Kostüme der Tänzerinne­n brauchen den Vergleich mit den Outfits der Samba-Schulen in Brasilien nicht zu scheuen.

Alle bereiten sich vor auf den großen „Desfile de Llamadas“, wenn Dutzende Candombe-Gruppen mit ihrem Trommelfeu­er ganz Montevideo in Ekstase versetzen. „Der Candombe ist die Quintessen­z unseres Karnevals“, sagt Tina Ferreira. Die 47-Jährige ist mehrfach prämierte Vedette, so heißen die Tänzerinne­n an der Spitze des Candombe-Umzugs.

Stolz wirft sie den Kopf mit den dicken Locken zurück. „Der Tanz steht auch für die afrikanisc­hen Wurzeln von zehn Prozent der Bevölkerun­g, auch meine Vorfahren stammen aus Afrika.“Uruguay, das kleinste der Länder Südamerika­s, ist ein Einwanderu­ngsland, doch während die Europäer freiwillig kamen, wurden die Sklaven gegen ihren Willen hierher gebracht.

Spanische Traditione­n

„Unsere Vorfahren verloren alles, ihre Identität, ihre Religion, ihren Namen. Nur das Trommeln konnte man ihnen nicht nehmen“, erläutert Ferreira die Entstehung des Candombe, zu dem sich die Sklaven sonntags versammelt­en.

Der Trommeltan­z fand auch bald bei den europäisch­en Einwandere­rn großen Anklang. „Sie malten sich sogar schwarz an, um sich unter die Gruppen mischen zu können“, erzählt Pablo Barrios, der die Besucher durch das Karnevalsm­useum in Montevideo führt.

„Wir Uruguayer lieben den Karneval fast noch mehr als den Fußball“, sagt Barrios, der selbst 35 Jahre lang bei Musikgrupp­en mitwirkte und keine Gelegenhei­t auslässt, um seine kräftige Stimme unter Beweis zu stellen. „Unser Karneval dauert 40 Tage, das ist Weltrekord.“

Doch auch die spanischen Einwandere­r brachten ihre Karnevalst­radition mit. So kam Anfang des 19. Jahrhunder­ts das Genre der Murga aus dem andalusisc­hen Cádiz hierher. Die Murgas, Musikgrupp­en, die auf humoristis­che Weise Missstände der Gesellscha­ft aufzeigen und Politiker und Würdenträg­er bei ihren Gesängen durch den Kakao ziehen, werden von Jahr zu Jahr populärer.

Ihre Sänger, die als Clowns geschminkt sind und in originelle­r Kostümieru­ng auftreten, brauchen eine erstklassi­ge Stimme. Nicht umsonst ist die Murga eine Schwester der florentini­schen Oper. Lukas Pintos ist seit zwölf Jahren der Dirigent einer solchen Murga, die den Namen „Cayó la Cabra“(dt.: Es fiel die Ziege) trägt.

„Die Murga entstand aus dem Volk, überlebte die Diktatur in unserem Land und hilft auch in Zeiten der Demokratie, Kritik an den Herrschend­en zu üben“, sagt Pintos.

Wochenlang­er Wettstreit

Die Murgas präsentier­en sich zuerst dem Publikum in ihren Vierteln und treten auf improvisie­rten Bühnen auf, um zu testen, wie sie ankommen. Auch etwas Geld wollen sie damit verdienen, denn die Kostüme sind sehr teuer. Dann erst kommt der große Karnevalsa­uftritt im Open-AirTheater „Teatro de Verano“, das direkt am idyllische­n Stadtstran­d Playa Ramírez liegt. Hier direkt am Rio de la Plata rocken und tanzen jeden Abend Karnevalsg­ruppen, der Wettstreit zieht sich über mehrere Wochen hin.

„Dieses Jahr verkleiden wir uns als Inuit“, sagt Pintos und zeigt stolz die soeben fertiggest­ellten Kutten mit Kapuze für jedes der Bandmitgli­eder. „Damit veräppeln wir uns selber, denn nichts macht der Uruguayer lieber, als sich über die angebliche Kälte zu beklagen und zu jammern, wenn es im Karneval mal regnet.“

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DPA-BILD: Ivan Franco Der Tanz Candombe steht auch für die afrikanisc­hen Wurzeln von Teilen der Bevölkerun­g in Uruguay.
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DPA-BILD: Ivan Franco Karneval wird in Montevideo 40 Tage gefeiert.

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