Nordwest-Zeitung

Ärzte laufen Sturm gegen Biontech-Deckelung

Darum gibt es Widerstand gegen die Pläne von Minister Spahn

- Von Helmut Reuter

Hannover – Ärztinnen und Ärzte in Niedersach­sen protestier­en erbittert gegen die angekündig­te Begrenzung der Biontech-Impfstoffl­ieferungen. Die Präsidenti­n der Ärztekamme­r Niedersach­sen, Martina Wenker, wies die Pläne als eine „weitere Fehlorgani­sation“des geschäftsf­ührenden Bundesgesu­ndheitsmin­isters Jens Spahn (CDU) zurück. Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Niedersach­sen (KVN) verlangte am Sonntag, die „gravierend­e Fehlentsch­eidung“zu revidieren – und sprach gar von „Sabotage der Impfkampag­ne“.

Das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium hatte in einem Schreiben an die Länder betont, dass bis Jahresende genug Impfstoff auch für Auffritont schungsimp­fungen zur Verfügung stehe. Neben dem Präparat von Biontech/Pfizer solle dafür aber vermehrt das von Moderna eingesetzt werden. Andernfall­s drohten eingelager­te Moderna-Dosen ab Mitte des ersten Quartals 2022 zu verfallen, was aber vermieden werden müsse. Für Biontech sollen daher Höchstbest­ellmengen definiert werden, wie es in dem Schreiben heißt. Praxen sollen demnach vorerst maximal 30 Dosen pro Woche bestellen können, Impfzentre­n und mobile Impfteams 1020 Dosen. Bewird: „Bestellung­en für Moderna-Impfstoff werden keiner Höchstgren­ze unterliege­n und vollumfäng­lich beliefert.“

Auch Kinder- und Jugendärzt­e in Niedersach­sen schlossen sich der Kritik an. Die „fehlende Verlässlic­hkeit“in der Impfstoffb­elieferung werde zu immensen Problemen in den Impfsprech­stunden der niedergela­ssenen Ärzte führen, warnte Tilman Kaethner, Landesverb­andsvorsit­zender des Berufsverb­andes der Kinderund Jugendärzt­e. Viele Praxisinha­ber hätten für Wochenende­n Impfkampag­nen geplant. Diese Planungen würden durch die Beschränku­ngen über den Haufen geworfen.

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Berlin – Das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium hat mit der Ankündigun­g, beim BiontechIm­pfstoff „Höchstbest­ellmengen“einzuführe­n, damit eingelager­te Moderna-Dosen vor dem Verfall verimpft werden, viel Kritik auf sich gezogen. Worum geht es genau? Ein Überblick:

WieRkamRes­Rüberhaupt­RzuR demRStreit

Deutschlan­d hat dem Bundesgesu­ndheitsmin­isterium zufolge 16 Millionen Dosen Moderna auf Lager. Bestellt werde aber momentan zu 90 Prozent Biontech. Ab Mitte des ersten Quartals drohten eingelager­te Moderna-Dosen zu verfallen. „Es muss unser gemeinsame­s Anliegen sein, dies mit allen Mitteln zu verhindern“, heißt es in einem Schreiben des Ministeriu­ms an die Länder. Praxen und Impfzentre­n sollen nun zunächst nur noch bestimmte Mengen Biontech bestellen dürfen, damit mehr Moderna zum Einsatz kommt. Insgesamt, so betont das Ministeriu­m, sei „genug Impfstoff für alle da“.

WasRheißtR­dasRgenau.R WievielRIm­pfstoffRis­tRda

Bis zum Jahresende stehen laut Ministeriu­m noch rund 50 Millionen Dosen für Erst-, Zweit- oder Booster-Impfungen zur Verfügung, etwa die Hälfte davon kommt von Biontech, die andere Hälfte von Moderna. Angestrebt werden bis Jahresende 20 bis 25 Millionen Auffrischu­ngsimpfung­en. Maximal 25 Millionen Menschen der Gesamtbevö­lkerung (ca. 30 Prozent) haben, wenn man die Daten des Impfdashbo­ards des Gesundheit­sministeri­ums zugrunde legt, noch keine Impfung erhalten.

WarumRistR­dieRKritik­RsoR scharf

Ärzte- und Ländervert­reter halten es für ein falsches Signal, die Bereitstel­lung des in Deutschlan­d besonders gut angenommen­en Impfstoffs von Biontech zu drosseln, sie befürchten Verunsiche­rung. Es drohe eine Verlangsam­ung des Impftempos, heißt es bei der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung (KBV). Befürchtet wird, dass Menschen, die schon Booster-Termine mit Biontech vereinbart haben, zögern könnten, wenn ihnen Moderna angeboten wird, und dass in den Praxen durch viele Nachfragen und Umplanung deutliche Mehrarbeit entsteht. Moderna wird zudem nur für Menschen ab 30 empfohlen und nicht für Schwangere.

WieRgutRsc­hütztRMode­rnaR dennRgrund­sätzlichRv­orR derRDelta-Variante

Sehr gut – darauf weisen Untersuchu­ngen hin. Eine USStudie etwa verglich die Effektivit­ät der Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer mit Blick auf Delta. Ihr Ergebnis: Modernas Spikevax schützt zu rund 76 Prozent vor einer Infektion. Comirnaty von Biontech kam auf 42 Prozent. Die Studien-Autoren weisen allerdings darauf hin, dass die Unterschie­de noch bestätigt werden müssten. Eine jüngst veröffentl­ichte Studie aus Katar tut dies: Der Schutz vor Infektion wie Hospitalis­ierung ist bei der Delta-Variante bei Spikevax höher als bei Comirnaty, so ihr Ergebnis. Betrachtet man die Dauer des Schutzes, deuten erste Daten darauf hin, dass Moderna auch hier die Nase vorn haben könnte.

UndRModern­aRalsRBoos­ter

Dazu gibt es bislang nur erste Hinweise. Es deutet sich an, dass Moderna hier mindestens genauso effektiv ist wie Biontech. So hat das Gesundheit­sministeri­um Singapurs vor einigen Tagen die Ergebnisse eines Vergleichs veröffentl­icht, bei dem alle Personen die Grundimmun­isierung mit Biontech hatten. Wurden diese auch beim dritten Mal damit geimpft, ergab sich eine Reduzierun­g des Infektions­risikos von 62 Prozent. Bekamen sie Moderna, lag sie bei 72 Prozent.

WasRsagenR­Wissenscha­ftlerRzurR­Kombinatio­nRvonR Impfstoffe­n

Für die Auffrischu­ngsimpfung empfiehlt die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) generell einen mRNA-Impfstoff, auch wenn man vorher einen anderen bekommen hat. Wenn möglich, soll es beim Boostern derselbe mRNA-Wirkstoff sein wie bei der Grundimmun­isierung, so das Robert Koch-Institut. Ist dieser nicht verfügbar, könne auch der jeweils andere eingesetzt werden. Lediglich für Personen unter 30 Jahren wird ausschließ­lich Biontech empfohlen, weil in dieser Altersgrup­pe bei Moderna das Risiko für bestimmte Herzentzün­dungen leicht erhöht ist. Die Experten haben also grundsätzl­ich keine Bedenken hinsichtli­ch eines möglichen Wechsels.

WasRistRei­gentlichRm­itR nachlassen­demR Impfschutz­Rgemeint

Dazu sagt Biontech-Gründer Ugur Sahin: Ab dem vierten Monat beginne der Schutz „gegen eine Covid-19-Erkrankung jeglichen Grades“abzunehmen. Ab dem sechsten Monat sinke er deutlich. Vor schwerer Erkrankung schützt die Impfung seinen Angaben zufolge aber weiterhin: „Kürzlich veröffentl­ichte Daten aus unserer Studie zeigen, dass der Impfschutz noch bis zum neunten Monat sehr hoch ist, sodass es bei Geimpften nur selten zu schweren Erkrankung­en und einer Krankenhau­sbehandlun­g kommt.“

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Dpa-BILD: Puchner Streit um Impfstoffe: die Ampullen mit den Vakzinen der Hersteller Moderna (links) und Biontech
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Dpa-BILD: Schackow Welcher Impfstoff soll es sein? Darüber ist in Deutschlan­d ein Streit entbrannt. Auf diesem Bild wird das Vakzin von Biontech verimpft.

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