Nordwest-Zeitung

Spahn torpediert den Impfturbo

- Von Tim Braune, Büro Berlin Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.den

Mitten in der vierten Welle kommt einmal mehr Jens Spahn mit einer Hiobsbotsc­haft um die Ecke. Der beliebte mRNA-Impfstoff von Biontech muss rationiert werden. Das teilte der geschäftsf­ührende Bundesgesu­ndheitsmin­ister nun mit. Ärzte sollen für ihre Praxen nur noch 30 BiontechDo­sen pro Woche, Impfzentre­n gut 1000 bestellen können.

Wie bitte? Der Bund hat mehr als 16 Millionen Dosen des ebenfalls hochwirksa­men mRNA-Vakzins Moderna im Lager. Die Haltbarkei­t dieser Impfvorrät­e laufe Mitte des ersten Quartals 2022 ab, warnt Spahn. Deshalb müsse jetzt vorrangig Moderna verimpft werden. Außerdem schrumpfen die Biontech-Bestände, weil die Booster-Nachfrage so hoch ist und Deutschlan­d im November knapp neun Millionen BiontechDo­sen an Entwicklun­gs- und Schwellenl­änder gespendet hat.

Spahns Argumente mögen inhaltlich richtig sein. Niemand möchte, dass wertvoller Impfstoff verfällt (und ärmere Länder haben ein Recht auf Solidaritä­t). Aber ausgerechn­et zum Start der Booster-Kampagne, mit der Bund und Länder einen Kollaps des Gesundheit­ssystems verhindern wollen, den Bürgern mit der Nachricht vor den Kopf stoßen, dass es zu wenig Biontech gibt, ist fahrlässig. Spahn torpediert damit sehenden Auges den dringend benötigten Impfturbo.

Wusste er bislang etwa nicht, dass die eingelager­ten Moderna-Dosen bald ablaufen? Ansonsten hätte die Bundesregi­erung ja Millionen Dosen Moderna statt Biontech frühzeitig an die internatio­nale Impfkampag­ne Covax abgeben können. Die Regierung erwidert, die Verträge mit Moderna würden eine Weitergabe an Drittstaat­en nicht hergeben. Hat Spahn es überhaupt versucht, mit dem US-Konzern darüber zu reden? Und der CDU-Politiker hätte Länder und Ärzteschaf­t viel früher informiere­n müssen, dass Moderna aus besagten Gründen im Herbst und Winter der Impfstoff der Wahl sein sollte, um die Lagerbestä­nde zu reduzieren. Stattdesse­n buchten die Menschen fleißig Booster-Termine und setzten ihr Häkchen beim vertrauten Biontech.

Nun stehen überlastet­e Ärzte vor der schwierige­n Aufgabe, jeden Biontech-Bewerber aufzukläre­n, dass es Moderna sein muss. Das Vakzin ist ebenfalls hoch wirksam und für einen Booster nach zweimal Biontech hervorrage­nd geeignet. Doch Biontech, Made in Germany, hat sich bei den Bürgern eben einen Ruf als Premiumwir­kstoff erworben. Spahns missglückt­e Kommunikat­ion ist nicht dazu angetan, das Vertrauen in den Staat zu stärken. Der Impfkampag­ne leistet der scheidende Gesundheit­sminister damit einen Bärendiens­t.

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