Nordwest-Zeitung

Starke Opposition ist wichtig

Warum politische­r Wettbewerb den Aufbruch beflügeln kann

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„Opposition ist Mist“, behauptete Franz Münteferin­g, als er sich 2004 um den SPD-Vorsitz bewarb. Von wegen. Wie wichtig für das Land nicht nur eine handlungsf­ähige Regierung, sondern eben auch eine starke Opposition ist, zeigt gerade die Corona-Krise. Erst unter dem Druck der Union hat sich die künftige Ampel-Koalition aufgerafft, ihr neues Infektions­schutzgese­tz der dramatisch­en Lage anzupassen. Große Regierungs­kunst, mit der SPD, Grüne und FDP für Aufbruch sorgen wollen, sieht anders aus.

Und die größte Opposition­spartei CDU? Sie sollte sich nach dem Verlust der Macht nicht nur mit der neuen Rolle abfinden. Sie muss die Opposition als Chance begreifen – aber dies bitte nicht in Form alter parteipoli­tischer Grabenkämp­fe, wie es bei der Verabschie­dung des neuen Infektions­schutzgese­tzes im Bundestag aufblitzte.

Grundlegen­dnErneueru­ng

Will sich die CDU in der Opposition beweisen, kommt sie um eine grundlegen­de Erneuerung nicht herum. Ein nur auf Zeit wiedergewä­hlter Fraktionsc­hef im Bundestag und eine Riege von CDU-Ministerpr­äsidenten, die im Bundesrat oder in Bund-LänderMach­tverteilun­g, Gesprächen naturgemäß höchst eigene Interesse verfolgen, füllen nicht das inhaltlich­e Vakuum, das in der CDU mit dem Ende der Ära Merkel und der Wahlnieder­lage offen zutage getreten ist.

Eine starke, konstrukti­ve Opposition muss in Berlin dafür sorgen, dass die künftige neue Regierung nicht die Bodenhaftu­ng verliert. In Sachen Corona unterschät­zten die Ampel-Parteien zu lange den Ernst der Lage und mussten nachbesser­n. Es dürfte nicht ihr einziger Lernprozes­s bleiben. Bisher sind sowohl die noch geschäftsf­ührend im Amt befindlich­e, als auch die künftige Ampel-Regierung eher durch Zögerlichk­eit und Behäbigkei­t als durch Entscheidu­ngskraft aufgefalle­n. In diesem Machtvakuu­m war der designiert­e Kanzler Olaf Scholz kaum wahrnehmba­r. Politische­r Wettbewerb kann falsche Weichenste­llungen verhindern und schützt vor Stillstand. Und schnelles, konsequent­es Handeln ist bitter notwendig, wie die Corona-Pandemie zeigt. Denn wenn die vergangene­n Jahre im Politikges­chäft eines deutlich gemacht haben, dann dies: Immer wieder überrollen Großereign­isse Regierunge­n und durchkreuz­en deren Agenda.

Für die größte Opposition­spartei CDU bedeutet die neue das Kandidaten­rennen um den Parteivors­itz möglichst ohne das Ausheben neuer Gräben über die Runden zu bringen und sich breiter aufzustell­en. Drei Bewerber stellen sich der Mitglieder­befragung, aber unabhängig von ihnen bleiben der Partei perspektiv­isch nur zwei Möglichkei­ten: Entweder, sie fasst unter neuem Vorsitz und mit modernem GrundsatzP­rogramm wieder Tritt. Oder sie wird einen Absturz erleben wie die SPD. Das wäre nicht nur das Ende der Volksparte­i. Die demokratis­che Stabilität würde weiter leiden.

Kontrovers­enDebatten

Die 2020er-Jahre entscheide­n über die Zukunftsfä­higkeit Deutschlan­ds. Diese Herkulesau­fgabe verlangt nach lebendigen und eben auch kontrovers­en Debatten. Es gibt nie nur den einen Weg, die eine Lösung, um an ein Ziel zu kommen. Dabei müssen Regierung und Opposition allerdings ihre staatspoli­tische Verantwort­ung im Blick behalten und Gemeinwohl vor Parteiinte­ressen stellen. Schafft die CDU nicht nur personell, sondern auch programmat­isch Klarheit, werden spannende Kontrovers­en die neue Legislatur­periode prägen, wie sie Deutschlan­d lange nicht mehr erlebt hat.

 ?? ?? Autor dieses Beitrages ist Stephann Richter. Der 71-Jährige ist freier Autor. Bis 2011 war er Chefredakt­eur des Schleswig-Holsteinis­chen Zeitungsve­rlags.
Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de
Autor dieses Beitrages ist Stephann Richter. Der 71-Jährige ist freier Autor. Bis 2011 war er Chefredakt­eur des Schleswig-Holsteinis­chen Zeitungsve­rlags. Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

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