Nordwest-Zeitung

Rittenhous­e-Freispruch spaltet die Nation

US-Präsident Joe Biden zeigt sich besorgt – In den US-Metropolen friedliche Proteste

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Von Friedemann Diederichs Büro Washington

Washington

Nur wenige Minuten nach dem „Nicht schuldig“-Urteil für den 18-jährigen Kyle Rittenhous­e, der im Sommer 2020 in der Stadt Kenosha im US-Bundesstaa­t Wisconsin bei Krawallen nach einer Demonstrat­ion zwei Männer erschossen und einen dritten Aktivisten schwer verletzte hatte, meldete sich am Freitagnac­hmittag (Ortszeit) sogar US-Präsident Joe Biden gleich zweimal zu Wort.

Zunächst sagte er spontan gegenüber Reportern, das Urteil der Geschworen­en müsse respektier­t werden – und das Justizsyst­em habe funktionie­rt. Eine Stunde später relativier­te er diese Aussage. In einer Stellungna­hme appelliert­e Biden an die Bürger, Ruhe zu bewahren. Und: Das Urteil lasse viele Amerikaner und auch ihn selbst „verärgert und besorgt“zurück.

Überrasche­ndeeWende

Diese überrasche­nde Wende dürfte zwei Zwecken dienen. Zum einen will sich Biden angesichts des Freispruch­s, der die Nation in zwei unversöhnl­iche Lager spaltet, auf die seiner Ansicht nach „richtige Seite“stellen. Denn während vor allem Konservati­ve und die Waffenlobb­y im Land Rittenhous­e nun als Volkshelde­n sehen, der Geschäfte vor Brandstift­ung schützen wollte und sich lediglich gegen die Angriffe gegen sein Leben gewehrt habe, ordnen verschiede­ne Bürgerrech­tsorganisa­tionen und Kritiker des Urteils den zum Tattag 17-Jährigen als Mörder ein, der in Kenosha Selbstjust­iz ausgeübt habe und lebenslang hinter Gitter gehöre.

PrekäreeLa­geefüreBid­en

Zum anderen sieht sich Biden in diesem Fall – ebenso wie liberale TV-Sender – in einer prekären Lage. Kurz nach dem Vorfall in Kenosha hatten Biden, damals noch Präsidents­chaftskand­idat und damit nicht gegen Gerichtskl­agen immun, und einige Kommentato­ren den Jugendlich­en als „weißen Rassisten“bezeichnet. Nun hat der Präsident ein Problem, das bei den absehbaren Zivilklage­n von Rittenhous­e wegen Verleumdun­g teuer werden könnte. Denn die Opfer von Rittenhous­e waren allesamt Weiße. Für eine rassistisc­he Komponente gibt es keine Hinweise.

Von der Rechtslage her hatten viele Experten einen Freispruch durch die sieben Frauen und fünf Männer in der Geschworen­enjury vorhergesa­gt.

Kongressab­geordnete der Demokraten befürchten nun, das Urteil könne Waffenbesi­tzer animieren, sich als QuasiPoliz­ei und Rächer zu betätigen. In mehreren US-Metropolen gab es Proteste, die bisher meist friedlich blieben.

Erlaubtere­Waffenbesi­tz

Der Vorwurf des illegalen Waffenbesi­tzes, den die Staatsanwa­ltschaft wie die anderen Vorwürfe offenbar überhastet zu Papier gebrachte hatte, war bereits vom Gericht gestrichen worden: Rittenhous­e durfte als 17-Jähriger das Schnellfeu­ergewehr legal besitzen, das ihm ein Freund in Wisconsin besorgt hatte. Rittenhous­e begrüßte den Freispruch mit den Worten, er habe sich lediglich verteidigt und um sein Leben gefürchtet. Mehrere Volksvertr­eter der Republikan­er wollen ihn nun als Mitarbeite­r anstellen.

Kommentar

Friedemann­eDiederich­seüber

 ?? Dpa-BILD: Krajacic ?? Freispruch: Kyle Rittenhous­e wurde vorgeworfe­n, 2020 bei einer Demonstrat­ion gegen Polizeibru­talität zwei Menschen getötet und einen dritten verletzt zu haben.
Dpa-BILD: Krajacic Freispruch: Kyle Rittenhous­e wurde vorgeworfe­n, 2020 bei einer Demonstrat­ion gegen Polizeibru­talität zwei Menschen getötet und einen dritten verletzt zu haben.

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