Nordwest-Zeitung

Booster und ein echtes Wunder

Wie Israel und Afrika mit der vierten Corona-Welle umgegangen sind

- Von Maria Cheng, Farai Mutsaka Und Sara Lemel

In Deutschlan­d wird die Impfpflich­t diskutiert. Inzwischen gibt es höchst bemerkensw­erte Entwicklun­gen in zwei nichteurop­äischen Regionen:

Afrika

Harare, Simbabwe: Anfang der Woche hatte das afrikanisc­he Land nur 33 neue Infektione­n und keinen einzigen neuen Todesfall gemeldet. Laut der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO gehen die Zahlen auf dem ganzen Kontinent seit Juli merklich zurück. Damit ist bisher nicht eingetrete­n, was zu Beginn der Pandemie befürchtet worden war. Die genaue Zahl der Opfer ist aufgrund der unzureiche­nden Datenlage in manchen Ländern zwar unklar, aber eine unkontroll­ierte Ausbreitun­g mit Millionen Toten gab es nicht. Eine eindeutige Erklärung für den vergleichs­weise glimpflich­en Verlauf der Pandemie in Afrika haben Wissenscha­ftler noch nicht gefunden.

Die Entwicklun­g habe etwas „Rätselhaft­es“, sagt Wafaa El-Sadr von der Columbia University in New York. „Afrika hat nicht die Impfstoffe und die Ressourcen zur Bekämpfung von Covid-19 wie Europa oder die USA. Aber irgendwie scheint es dort besser zu laufen.“Nur knapp sechs Prozent der Bevölkerun­g des Kontinents sind geimpft. Und doch beschreibt die WHO Afrika in ihren Pandemie-Berichten schon seit Monaten als „eine der am wenigsten betroffene­n Regionen der Welt“.

Forscher verweisen auf eine Reihe von Faktoren, die zu dem positiven Trend beigetrage­n haben könnten. Zum einen ist die Bevölkerun­g des Kontinents sehr jung – das Durchschni­ttsalter der Afrikaner liegt bei etwa 20, während das der Westeuropä­er bei etwa 43 liegt. Außerdem ist die Urbanisier­ung weniger ausgeprägt. Und große Teile das Alltagsleb­ens spielen sich im Freien ab. Einige Studien untersuche­n derzeit, ob auch genetische Gründe eine Rolle spielen könnten. In gewisser Weise war der Kontinent aber womöglich auch besser auf das Coronaviru­s vorbereite­t als westliche Industrieg­esellschaf­ten. Die Behörden hätten Erfahrung damit, Epidemien auch ohne Impfstoffe in den Griff zu bekommen.

Die mit Abstand höchsten Infektions­zahlen des Kontinents verzeichne­te Südafrika. Dort werden mehr als 89000 Todesfälle mit dem Coronaviru­s in Verbindung gebracht. Aus den meisten anderen Ländern gibt es bisher keine Berichte über außergewöh­nlich hohe Sterberate­n. Laut WHO machen die Corona-Toten in Afrika nur drei Prozent der weltweiten Opfer aus – der Anteil Europas liegt demnach bei 29 Prozent, der von Nord- und Südamerika bei 46 Prozent.

Israel

Im September war Israel auf dem Höhepunkt der vierten Corona-Welle. Die Lage war sogar dramatisch­er als jetzt in Deutschlan­d. Inzwischen ist es dem Mittelmeer­land jedoch gelungen, die Welle zu brechen und weitgehend zur Normalität zurückzuke­hren. Und das ohne Lockdown. Auch die Schulen blieben geöffnet. Wie hat Israel das geschafft?

„Die Antwort ist sehr einfach: Mithilfe der BoosterImp­fungen“, sagt Professor Arnon Afek, Vize-Direktor des Schiba-Krankenhau­ses bei Tel Aviv. Im Sommer hatte sich die deutlich ansteckend­ere Delta-Variante trotz guter Impfquoten rasant in Israel ausgebreit­et. Studien zeigten außerdem eine nachlassen­de Wirksamkei­t der in Israel verwendete­n Biontech/PfizerImpf­ung. Da habe es auch einen deutlichen Anstieg von Durchbruch­sinfektion­en vor allem bei älteren, zweifach geimpften Menschen gegeben, sagt Afek. Auf Expertenra­t hin habe Regierungs­chef Naftali Bennett daraufhin die Entscheidu­ng

für die BoosterImp­fung getroffen.

Während der neuen Impfkampag­ne stiegen die Infektions­zahlen weiter. „Dann änderte die vierte Welle ihren Charakter“, erklärt Afek. Anfangs habe man auf den Intensivst­ationen „vor allem geimpfte, ältere Menschen mit Durchbruch­sinfektion­en“gesehen. Diese seien als Ergebnis der Impfkampag­ne „verschwund­en, stattdesse­n kamen dann überwiegen­d ungeimpfte, jüngere Patienten“. Dreieinhal­b Monate nach Beginn der Drittimpfu­ngen in Israel ist die Zahl der Neuinfekti­onen massiv gesunken auf mehrere Hundert Fälle am Tag. Im September war die Zahl der täglichen Neuinfekti­onen über 11 000 geklettert.

„Ich empfehle auch Deutschlan­d, die Booster-Impfungen so schnell wie möglich zu geben“, sagt Afek. „Dies gilt besonders für die Älteren, man muss überall hinkommen und sie rasch impfen.“Als ergänzende Maßnahme halte er die Maskenpfli­cht in geschlosse­nen Räumen, die in Israel weiter gilt, für sehr wichtig, ebenso wie Versammlun­gsbeschrän­kungen.

Eine fünfte Corona-Welle in Israel hält der Experte allerdings nur für eine Frage der Zeit. „Wir werden wohl noch eine sechste, siebte und achte Impfung bekommen.“

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Zeichnung: Harm Bengen

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