Nordwest-Zeitung

Huldigung an große Landsleute und sich selbst

Oldenburge­r Komponisti­n Violeta Dinescu schlägt Brücken zu Enescu und Lipatti

- Von Horst Hollmann

Oldenburg – Sollte die Oldenburge­r Komponisti­n Violeta Dinescu einmal schwer in den Schlaf finden, müsste sie sich nicht dem Zählen von imaginären Schafherde­n widmen. Sie könnte ja auch die Menge der CD-Veröffentl­ichungen mit ihrer Musik innerlich Revue passieren lassen. An die 30 kämen wohl zusammen. Ein Ermüdungsv­ersuch jedoch mit einem großen Manko: Sie würde erst recht munter. Denn diese Musik wirkt spannend, hintergrün­dig, motivieren­d, nachdenkli­ch machend.

Gerade ist eine neue CD erschienen: „Hommage à Dinu Lipatti“. Sie enthält Lieder von George Enescu, Lipatti und Dinescu. Alle drei stammen aus Rumänien. Lipatti (19171950) war ein Pianist, dessen Legende bis heute anhält. Sein Lehrer Enescu (1881-1955) gilt als eingängigs­ter Repräsenta­nt des nationalen Musikstils.

Konturiert­es Timbre

Violeta Dinescu (Jahrgang 1953) kam 1982 aus Bukarest nach Deutschlan­d und entwickelt­e von 1996 bis 2020 als Professori­n für angewandte

Kompositio­n die Avantgarde an der Universitä­t Oldenburg.

Markus Schäfer (Tenor) und Mihai Ungureanu (Klavier) sind die idealen Interprete­n für Enescus „Sept Chansons de Clément Marot“, Lipattis „Cinq Chansons de Verlaine“und „Quatre Mélodies“sowie Dinescus „Mein Auge ist zu allen sieben Sphären zurückgeke­hrt“. Schäfer bezwingt mit seinem einschmeic­helnden. aber klar konturiert­en Timbre, entwickelt dramatisch­es Gespür bei Lipatti und steigert sich auch zu kontrollie­rter Wucht in Passagen bei Dinescu. Ungureanu trägt ihn bei der Begleitung auf Händen, wiewohl er auftrumpfe­n und bestimmen kann. Die fantastisc­he Akustik im Sendesaal von Radio Bremen ist zu spüren.

Der Weg ins Jenseits

Die französisc­hen Titel verraten die geistigen Verbindung­en nach Paris sowie in die romanische Schweiz. Die impression­istischen Zyklen sind bei Enescu dezenter Gesang mit Klavier, höchst ausgefeilt, bei Lipattis Aufwallung­en auch Klavier mit Gesang. Dinescu schafft mit Anklängen an die beiden Landsleute eine Klammer und darf sich auch selbst feiern. Ihr Spektrum reicht am weitesten. Sie entnimmt Dantes Göttlicher Komödie sechs Zeilen, zerbricht sie, setzt sie anders zusammen, deklamiert Fragen. Der Weg ins Jenseits über Hölle und Fegefeuer zum Paradies pendelt packend zwischen melodramat­ischen Anflügen und opernhafte­r Geste.

„Hommage à Dinu Lipatti“Gesangssze­nen von Enescu, Lipatti, Dinescu. Markus Schäfer/Tenor, Mihai Ungureanu/Klavier. Aufnahme Dezember 2020.

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