Mit Schaum vor dem Erdbeermund
Vor 30 Jahren starb Klaus Kinski – und auch sein wohl legendärster Auftritt jährt sich
Berlin – Spätestens seit den Missbrauchsvorwürfen seiner beiden Töchter wird Klaus Kinski in einem anderen Licht gesehen. Da erscheint er in der Rückbesinnung nicht mehr nur als der geniale Schauspieler mit unterhaltsam-cholerischer Ader, sondern auch als ein Mann, der sich der sexualisierten Gewalt seinen Kindern gegenüber schuldig gemacht hat. Klaus Kinski selbst hatte in der 1975 erschienenen Autobiografie „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“Inzesterlebnisse geschildert.
Faszination und Scham
Vor 30 Jahren, am 23. November, starb der für seinen Jähzorn berühmt-berüchtigte Filmstar mit 65 Jahren in seinem Haus in Lagunitas nahe San Francisco. Der im Ostseebad Sopot bei Danzig geborene Schauspieler ging in die Kinogeschichte vor allem für seine Zusammenarbeit mit dem Regisseur Werner Herzog ein („Aguirre, der Zorn Gottes“, „Nosferatu – Phantom der Nacht“, „Woyzeck“, „Fitzcarraldo“, „Cobra Verde“).
Die einen sind von ihm bis heute fasziniert, die anderen empfinden nur Fremdscham. Bei Kinski war schnell die Lunte an. Der wohl gewaltigste Wutanfall ereignete sich vor 50 Jahren. Es war der 20. November 1971, als Kinski in der (2011 gesprengten) Deutschlandhalle in Berlin-Westend seinen Monolog-Text „Jesus Christus Erlöser“uraufführen wollte. Es war ein Text von 30 Seiten, für dessen Vortrag etwa 90 Minuten geplant waren.
Ein reines Desaster
Etwa 5000 Menschen kamen. Der Abend wurde ein Desaster – schon nach wenigen Minuten war Schluss mit ungestörter Rezitation. Gelächter, Geläster, Zwischenrufe („Kinski ist nicht Jesus“) dominierten die Halle. Hunderte machten sich einen Spaß daraus,
Klaus Kinski – hier 1971 bei einer Darbietung des „Neuen Testaments“– war für seine Wutanfälle mindestens genauso berühmt wie für seine Filme. Nun jähren sich der Todestag und der wohl legendärste Auftritt des Filmstars.
die weihevolle Veranstaltung im antiautoritären Happening-Stil zu stören. Und Kinski ließ sich provozieren, fiel rasch aus seiner Rolle.
Ein Höhepunkt des unflätigen Theaters war es, als Kinski einen Störenden auf die Bühne rief: „Komm Du jetzt hierher, der so ein großes Maul hat!“. Der Zuschauer kam hinauf und sagte ins Mikrofon,
er glaube, Kinski sei nicht der Jesus, den vielleicht manche im Publikum suchten, da Jesus „duldsam“gewesen sei und bei Widerspruch nicht „Halt deine Schnauze!“riefe. Der Schnäuzerträger übergab das Mikro wieder und ging ab. Nun brach es aus Kinski raus: „Nein, er hat nicht gesagt ,Halt die Schnauze‘. Er hat eine Peitsche genommen und hat ihm
in die Fresse gehauen! Das hat der gemacht. Du dumme Sau!“
In der Folge eskalierte die Situation immer weiter. Kinski erklärte den Abend mehrmals für beendet. Irgendwann hatte ein Großteil der Zuschauer den Saal verlassen. Etwa um Mitternacht erschien Kinski dann doch wieder vor der Bühne, wo etwa 200 Personen warteten. Schließlich trug er
noch den ganzen Text vor. Gegen 2 Uhr war Ende.
In den folgenden Jahrzehnten mit internationalem Erfolg, Wohnsitz in Kalifornien und hin und wieder auch TVAuftritten in Deutschland, etwa 1985 bei Thomas Gottschalk in „Na sowas!“, kokettierte Kinski gern mit seiner Rolle als „der Schwierige“und zickiger Star.