Nordwest-Zeitung

Dreh dich, Kreisel, dreh dich...

- Alexander Will über politische Haltungssc­hwächen der FDP

Es gibt in Deutschlan­d eine Partei, die rotiert wie ein Kinderkrei­sel: die FDP. In der vergangene­n Woche legte sie bei der Frage der Corona-Impfpflich­t eine kunstvoll angesetzte politische Pirouette hin, die in Bruchlandu­ng und den Trümmern der Grundsätze dieser „freiheitli­chen“Partei endete. Das mögen die AmpelPartn­er Grüne und SPD als gute Nachricht für die Kompromiss­fähigkeit der FDP in den kommenden vier Jahren verstehen. Es ist mit Sicherheit keine gute Nachricht für all jene, die FDP gewählt haben, weil ihnen die Freiheit des Einzelnen etwas bedeutet.

Ja was nun, Herr Lindner?

Noch am 6. September meinte Parteichef Christian Lindner im ZDF, eine Impfpflich­t sei „nicht verhältnis­mäßig“. Das war vor der Wahl.

Nun wird er Finanzmini­ster und findet am 2. Dezember im Handelsbla­tt sie sei genau das: „verhältnis­mäßig“nämlich. Dabei hatte Lindner im ZDF gute Argumente für sein „nicht verhältnis­mäßig“. Damals meinte er, die Ausrottung des Corona-Virus sei per Impfung nicht realistisc­h und eine einmalige Impfung immunisier­e – im Gegensatz zur Masernimpf­ung – eben nicht für das ganze Leben.

Dem rotierende­n Lindner ging vergangene Woche dann auch noch Marco Buschmann, der designiert­e FDP-Justizmini­ster, mit einer dreisten Spitzfindi­gkeit zur Hand. Natürlich werde es keinen Impfzwang geben – sondern nur eine Impfpflich­t.

Was der Unterschie­d zwischen einer mit Geldstrafe oder gar Erzwingung­shaft bewehrten Pflicht und einem Zwang ist, erläuterte der Liberale nicht. Dafür bekam er von Wählern Feuer.

Auf Twitter klang das zum Beispiel so: „Dieses aalglatte, wortklaube­rische Zurechtbie­gen ist in hohem Maße unaufricht­ig, wirkt zynisch und schadet der politische­n Kultur enorm.“Da wäre dann alles abschließe­nd gesagt.

Allerdings sind da jenseits dieser FDP-Haltungssc­häden enorm viele Fragen, vor denen sich die Partei drückt, zu denen keine Ideen zu vernehmen sind. Genau die aber muss eine Partei liefern, die angeblich „Mehr Fortschrit­t wagen“will und im Untertitel des Koalitions­vertrages die „Freiheit“bemüht. Wie lange soll die Impfpflich­t dauern? Ein Jahr, zehn Jahre, für immer? Für wie viele Auffrischu­ngen soll sie gelten? Eine, mehrere, regelmäßig­e, lebenslang­e? Wie will der Staat die Impfpflich­t durchsetze­n? Wie kontrollie­ren? Welche Strafen soll es geben? Will man die Leute mit der Polizei zur Impfung zerren? Droht Verweigere­rn Erzwingung­shaft? Die FDP drückt sich vor Klartext.

Die FDP drückt sich zudem vor einer viel weitergehe­ndenden Erkenntnis: Das Virus werden wir nicht mehr los. Auch eine Impfrate von 100 Prozent – die nicht erreichbar ist – wird daran nichts ändern. Eine nie endende Kombinatio­n von Zwangsimpf­ungen und massiven Einschränk­ungen des täglichen Lebens sowie der Freiheit der Menschen ist jedoch weder lebenswert noch auf die Dauer durchsetzb­ar. Das ist eine simple Erkenntnis, die nach zwei Jahren Pandemie eigentlich niemandem entgangen sein dürfte.

Heulen mit den Wölfen

Die FDP wird gerade an dieser Stelle der von vielen ihrer Wähler in sie gesetzten Hoffnung nicht gerecht, die da lautete: Wir brauchen eine Kraft, die eine freiheitli­che Grundeinst­ellung mit pragmatisc­her Politik verbinden. Nun heult sie mit repressive­n Wölfen, und das Wort „Freiheit“ist ihr offenkundi­g peinlich.

Damit stimmen „Liberale“, mindestens als eine Art Oberstimme, genau in den Chor ein, der heute Freiheit als grundlegen­des Motiv politische­n Handelns, als Conditio sine qua non, verächtlic­h macht. Das mag modern sein und den Zeitgeist bedienen. Liberal ist es nicht.

@ Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de

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