„Infektion mit oder ohne Schutz – Eltern entscheiden“
Experte Leif Erik Sander von der Charité Berlin erklärt Chancen und Risiken
Sollte man seine Kinder jetzt impfen lassen?
Leif Erik Sander: Die Abwägung ist tatsächlich etwas schwieriger als bei Erwachsenen. Denn bei Erwachsenen ist die Situation glasklar: Das Risiko von Impfkomplikationen ist sehr gering, das Risiko von Covid-19 sehr viel höher. Die Zulassungsbehörden in den USA und Europa, wie auch die zuständigen Impfkommissionen – zum Beispiel in den USA, Dänemark und Österreich – kommen zu dem Ergebnis, dass das individuelle Risiko einer Impfung auch bei Kindern geringer ist als der Nutzen durch den Schutz vor Covid und seinen Auswirkungen. Auch wenn Covid ja glücklicherweise sehr häufig bei Kindern mild verläuft.
Welche Rolle spielt die Impfung der Kinder bei der Bekämpfung der Pandemie? Sander: Kinder geben das Coronavirus mehr oder weniger im selben Maß weiter wie Erwachsene. Und wie jüngste Zahlen aus Berechnungen des RKI zeigen, sind an 9 von 10 Infektionen ungeimpfte Personen beteiligt. Insofern würde die Impfung von Kindern natürlich auch bei der Eindämmung der Pandemie helfen, doch das darf nicht der primäre Grund für die Impfentscheidung bei Kindern sein. Hier steht nur der individuelle Nutzen im Vordergrund. Die Effekte auf das Infektionsgeschehen sind ein Bonus.
Auch geimpfte Eltern tun sich schwer mit der Entscheidung, ihre Kinder impfen zu lassen. Sander: Ich kann das verstehen. Entscheidungen, die die Gesundheit der eigenen Kinder betreffen, überdenkt man in der Regel sehr gründlich, das ist auch richtig so. Die Problematik in diesem Fall ist allerdings, dass es nicht wirklich eine Entscheidung für oder gegen die Impfung ist, denn es ist vielmehr die Entscheidung für eine Infektion mit Impfschutz oder eine Infektion ohne Impfschutz. Alle Personen werden sich in den nächsten Monaten irgendwann mit dem Coronavirus infizieren.
Manche Eltern machen sich Sorgen, weil die verimpfte mRNA die DNA des Kindes schädigen könnte. Wie berechtigt sind diese? Sander: Das ist eine sehr theoplötzlich retische und meiner Meinung nach konstruierte Gefahr. Die Wissenschaft ist sich einig, dass die mRNA der Impfung nicht zu Erbgutschäden führt. Die Sorge davor müsste dann eigentlich bei jeder Infektion des Kindes mit Erkältungsviren oder ähnlichem bestehen: Denn die Viren führen immer auch mRNA in die Zellen ein. Auch hier müsste dann – dieser Logik folgend – die Gefahr bestehen, dass sich das Erbgut verändert. Das ist aber nicht so.
Wie sieht es mit möglichen langfristigen Schäden einer
Impfung für Kinder aus? Sander: Bei Impfungen, wie bei jeder medizinischen Maßnahme, ist es natürlich so, dass sehr seltene Komplikationen mit langfristiger Wirkung auftreten können. Vor einigen Jahren gab es in Skandinavien bei Kindern und Jugendlichen mit einer entsprechenden genetischen Veranlagung Fälle von Narkolepsie, einer schweren neurologischen Erkrankung, infolge einer Impfung gegen die Schweinegrippe. Solche Komplikationen treten aber immer relativ früh nach der Impfung auf. Dass sich die Impfung nach Jahren negativ auswirkt, ist bislang noch nie vorgekommen.
mRNA-Impfstoffe gab es bis zur Corona-Pandemie allerdings auch noch nicht… Sander: Das stimmt. Doch woher sollte eine Komplikation Jahre später kommen? Das einzige, was vom Impfstoff nach längerer Zeit im Körper verbleibt, ist die Reaktion des Immunsystems – und die nimmt nach einigen Monaten wieder ab.
Wenn Eltern den mRNA-Impfstoff dennoch skeptisch sehen – lohnt sich das Warten auf die Zulassung eines herkömmlichen Impfstoffs? Sander: Für die Erwachsenen erwarten wir Anfang des Jahres die Zulassung von Proteinund Totimpfstoffen. Für Kinder wird die Zulassung dieser Impfstoffe wieder einige Zeit dauern, sicher bis zum Sommer oder Herbst. Die Zahl der Infektionen ist aber jetzt enorm hoch, und bis zum Frühjahr werden noch viele dazukommen. Der BiontechImpfstoff ist seit einem Jahr im Einsatz und extrem gut erprobt. Daher macht eine Impfentscheidung gerade jetzt sehr viel Sinn.