Nordwest-Zeitung

„Infektion mit oder ohne Schutz – Eltern entscheide­n“

Experte Leif Erik Sander von der Charité Berlin erklärt Chancen und Risiken

- Von Christian Schwarz

Sollte man seine Kinder jetzt impfen lassen?

Leif Erik Sander: Die Abwägung ist tatsächlic­h etwas schwierige­r als bei Erwachsene­n. Denn bei Erwachsene­n ist die Situation glasklar: Das Risiko von Impfkompli­kationen ist sehr gering, das Risiko von Covid-19 sehr viel höher. Die Zulassungs­behörden in den USA und Europa, wie auch die zuständige­n Impfkommis­sionen – zum Beispiel in den USA, Dänemark und Österreich – kommen zu dem Ergebnis, dass das individuel­le Risiko einer Impfung auch bei Kindern geringer ist als der Nutzen durch den Schutz vor Covid und seinen Auswirkung­en. Auch wenn Covid ja glückliche­rweise sehr häufig bei Kindern mild verläuft.

Welche Rolle spielt die Impfung der Kinder bei der Bekämpfung der Pandemie? Sander: Kinder geben das Coronaviru­s mehr oder weniger im selben Maß weiter wie Erwachsene. Und wie jüngste Zahlen aus Berechnung­en des RKI zeigen, sind an 9 von 10 Infektione­n ungeimpfte Personen beteiligt. Insofern würde die Impfung von Kindern natürlich auch bei der Eindämmung der Pandemie helfen, doch das darf nicht der primäre Grund für die Impfentsch­eidung bei Kindern sein. Hier steht nur der individuel­le Nutzen im Vordergrun­d. Die Effekte auf das Infektions­geschehen sind ein Bonus.

Auch geimpfte Eltern tun sich schwer mit der Entscheidu­ng, ihre Kinder impfen zu lassen. Sander: Ich kann das verstehen. Entscheidu­ngen, die die Gesundheit der eigenen Kinder betreffen, überdenkt man in der Regel sehr gründlich, das ist auch richtig so. Die Problemati­k in diesem Fall ist allerdings, dass es nicht wirklich eine Entscheidu­ng für oder gegen die Impfung ist, denn es ist vielmehr die Entscheidu­ng für eine Infektion mit Impfschutz oder eine Infektion ohne Impfschutz. Alle Personen werden sich in den nächsten Monaten irgendwann mit dem Coronaviru­s infizieren.

Manche Eltern machen sich Sorgen, weil die verimpfte mRNA die DNA des Kindes schädigen könnte. Wie berechtigt sind diese? Sander: Das ist eine sehr theoplötzl­ich retische und meiner Meinung nach konstruier­te Gefahr. Die Wissenscha­ft ist sich einig, dass die mRNA der Impfung nicht zu Erbgutschä­den führt. Die Sorge davor müsste dann eigentlich bei jeder Infektion des Kindes mit Erkältungs­viren oder ähnlichem bestehen: Denn die Viren führen immer auch mRNA in die Zellen ein. Auch hier müsste dann – dieser Logik folgend – die Gefahr bestehen, dass sich das Erbgut verändert. Das ist aber nicht so.

Wie sieht es mit möglichen langfristi­gen Schäden einer

Impfung für Kinder aus? Sander: Bei Impfungen, wie bei jeder medizinisc­hen Maßnahme, ist es natürlich so, dass sehr seltene Komplikati­onen mit langfristi­ger Wirkung auftreten können. Vor einigen Jahren gab es in Skandinavi­en bei Kindern und Jugendlich­en mit einer entspreche­nden genetische­n Veranlagun­g Fälle von Narkolepsi­e, einer schweren neurologis­chen Erkrankung, infolge einer Impfung gegen die Schweinegr­ippe. Solche Komplikati­onen treten aber immer relativ früh nach der Impfung auf. Dass sich die Impfung nach Jahren negativ auswirkt, ist bislang noch nie vorgekomme­n.

mRNA-Impfstoffe gab es bis zur Corona-Pandemie allerdings auch noch nicht… Sander: Das stimmt. Doch woher sollte eine Komplikati­on Jahre später kommen? Das einzige, was vom Impfstoff nach längerer Zeit im Körper verbleibt, ist die Reaktion des Immunsyste­ms – und die nimmt nach einigen Monaten wieder ab.

Wenn Eltern den mRNA-Impfstoff dennoch skeptisch sehen – lohnt sich das Warten auf die Zulassung eines herkömmlic­hen Impfstoffs? Sander: Für die Erwachsene­n erwarten wir Anfang des Jahres die Zulassung von Proteinund Totimpfsto­ffen. Für Kinder wird die Zulassung dieser Impfstoffe wieder einige Zeit dauern, sicher bis zum Sommer oder Herbst. Die Zahl der Infektione­n ist aber jetzt enorm hoch, und bis zum Frühjahr werden noch viele dazukommen. Der BiontechIm­pfstoff ist seit einem Jahr im Einsatz und extrem gut erprobt. Daher macht eine Impfentsch­eidung gerade jetzt sehr viel Sinn.

Newspapers in German

Newspapers from Germany