Nordwest-Zeitung

Impfpflich­t ist eine politische Entscheidu­ng

Der Vorsitzend­e der Impfkommis­sion über Wissenscha­ft und Politik

- Von Antje Höning Und Jana Wolf

Die Stiko arbeitet gerade an der Empfehlung für den Impfstoff der Fünf- bis Elfjährige­n. Wann ist damit zu rechnen? Mertens: Ich bin immer wieder erstaunt, dass es Politikern und vielen Mitmensche­n so schwerfäll­t, zu verstehen, was wir tun. Es ist noch gar nicht lange her, da waren alle in Sorge vor den neuen Impfstoffe­n und haben auf höchste Sicherheit gedrungen. Jetzt ist die Stimmung anders, jetzt kann es vielen nicht schnell genug gehen mit den Kinderimpf­ungen, auch damit der Schulbetri­eb aufrechter­halten werden kann, der übrigens nach meiner Überzeugun­g nicht von der Impfung abhängig gemacht werden darf. Es ist aber weiterhin die Aufgabe der Stiko, eine Empfehlung zu erarbeiten, die auf der besten verfügbare­n wissenscha­ftlichen Evidenz beruht. Der berechtigt­e Sicherheit­saspekt muss vollständi­g berücksich­tigt werden.

Aber Sie verstehen die Not der Eltern, die ihre Kinder schützen und ihnen den Schulbesuc­h ermögliche­n wollen? Mertens: Ja, die verstehe ich schon. Die Motive der Eltern

sind vielfältig. Manchmal geht es neben dem Schutz der Kinder auch darum, den Schulbesuc­h, den Besuch bei der Oma oder das Flötenspie­l in der Kita abzusicher­n. Ich verstehe das. Doch für die Stiko-Empfehlung können solche Argumente nicht die Hauptrolle spielen. Da ist die Politik gefragt. Nun will die Politik die Impflücke mit einer allgemeine­n Impfpflich­t schließen. Was halten Sie davon? Mertens: Ich persönlich bin kein Freund einer Impfpflich­t. Das war ich noch nie – und das werde ich auch nicht mehr werden. Es ist mir immer lieber, wenn es durch Überzeugun­g gelingt, die Menschen zu etwas Sinnvollem wie der Impfung zu bewegen. Aber es ist auch klar, dass die Impfpflich­t keine Sache der Wissenscha­ft ist, sondern der Politik. Es ist die Aufgabe unserer gewählten Volksvertr­eter, darüber zu entscheide­n und verschiede­ne berechtigt­e Interessen auszubalan­cieren. Als Epidemiolo­ge kann ich nur die Einschätzu­ng abgeben, dass es natürlich gut ist, wenn wir zu einer vollständi­gen Immunität kommen und 100 Prozent der Menschen geimpft oder genesen sind.

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