Impfpflicht ist eine politische Entscheidung
Der Vorsitzende der Impfkommission über Wissenschaft und Politik
Die Stiko arbeitet gerade an der Empfehlung für den Impfstoff der Fünf- bis Elfjährigen. Wann ist damit zu rechnen? Mertens: Ich bin immer wieder erstaunt, dass es Politikern und vielen Mitmenschen so schwerfällt, zu verstehen, was wir tun. Es ist noch gar nicht lange her, da waren alle in Sorge vor den neuen Impfstoffen und haben auf höchste Sicherheit gedrungen. Jetzt ist die Stimmung anders, jetzt kann es vielen nicht schnell genug gehen mit den Kinderimpfungen, auch damit der Schulbetrieb aufrechterhalten werden kann, der übrigens nach meiner Überzeugung nicht von der Impfung abhängig gemacht werden darf. Es ist aber weiterhin die Aufgabe der Stiko, eine Empfehlung zu erarbeiten, die auf der besten verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz beruht. Der berechtigte Sicherheitsaspekt muss vollständig berücksichtigt werden.
Aber Sie verstehen die Not der Eltern, die ihre Kinder schützen und ihnen den Schulbesuch ermöglichen wollen? Mertens: Ja, die verstehe ich schon. Die Motive der Eltern
sind vielfältig. Manchmal geht es neben dem Schutz der Kinder auch darum, den Schulbesuch, den Besuch bei der Oma oder das Flötenspiel in der Kita abzusichern. Ich verstehe das. Doch für die Stiko-Empfehlung können solche Argumente nicht die Hauptrolle spielen. Da ist die Politik gefragt. Nun will die Politik die Impflücke mit einer allgemeinen Impfpflicht schließen. Was halten Sie davon? Mertens: Ich persönlich bin kein Freund einer Impfpflicht. Das war ich noch nie – und das werde ich auch nicht mehr werden. Es ist mir immer lieber, wenn es durch Überzeugung gelingt, die Menschen zu etwas Sinnvollem wie der Impfung zu bewegen. Aber es ist auch klar, dass die Impfpflicht keine Sache der Wissenschaft ist, sondern der Politik. Es ist die Aufgabe unserer gewählten Volksvertreter, darüber zu entscheiden und verschiedene berechtigte Interessen auszubalancieren. Als Epidemiologe kann ich nur die Einschätzung abgeben, dass es natürlich gut ist, wenn wir zu einer vollständigen Immunität kommen und 100 Prozent der Menschen geimpft oder genesen sind.