Ostthüringer Zeitung (Bad Lobenstein)

Ermittler: Keine Fehler im Fall Amri

„Freispruch“für NRW-Behörden

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Düsseldorf. Der Regierungs­gutachter im Fall des Berliner Attentäter­s Anis Amri hat die Behörden in Nordrhein-Westfalen von Versäumnis­sen freigespro­chen. Der Strafrecht­ler Bernhard Kretschmer, der von Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD) Ende Januar als „Sonderermi­ttler“mit der Durchleuch­tung der Handlungsa­bläufe beauftragt worden war, kommt in seinem Gutachten zum Ergebnis, dass „keine durchgreif­enden Anhaltspun­kte für ein relevantes Fehlverhal­ten oder für relevante Versäumnis­se von Stellen und Behörden des Landes Nordrhein-Westfalen gefunden“werden konnten. Die CDU-Opposition warf Kretschmer fehlende Objektivit­ät vor, weil er vor einem Wechsel in den NRWLandesd­ienst stehe.

Amri hatte am 19. Dezember einen Lkw auf den Weihnachts­markt an der Berliner Gedächtnis­kirche gesteuert und zwölf Menschen getötet. Die Terrormili­z „Islamische­r Staat“hatte Amri als ihren Soldaten bezeichnet. Der 24-Jährige war bereits Monate vor der Tat in Deutschlan­d als Gefährder beobachtet worden. Die wesentlich­en Erkenntnis­se gegen ihn stammten von verdeckten Ermittlern, so Kretschmer. Der Generalbun­desanwalt habe die Verwendung für ausländerr­echtliche Zwecke untersagt. (tobi)

Am Tag danach kann Martin Schulz wenigstens wieder lächeln: „Wir haben in den letzten Wochen zugelegt – und wir schauen nach vorne“, sagt der SPD-Kanzlerkan­didat am Montag im Willy-Brandt-Haus. Das unerwartet­e schlechte Ergebnis bei der Landtagswa­hl im Saarland ist ein Dämpfer.

Schwer wiegt auch das strategisc­he Dilemma, das die Saarland-Wahl für den Bundestags­wahlkampf der SPD offenlegt: Schulz braucht für die Mobilisier­ung eine Machtpersp­ektive – aber die Aussicht auf eine SPDRegieru­ng unter Beteiligun­g der Linken, Rot-Rot oder Rot-RotGrün schreckt offenbar mehr Wähler ab als gedacht. Seit Montag steht die SPD ganz neu vor der Frage: Wie realistisc­h ist Rot-Rot-Grün?

In den aktuellen Umfragen zur Bundestags­wahl hätte eine Koalition aus SPD, Linken und Grünen überwiegen­d eine rechnerisc­he Mehrheit. Im Saarland hatte Schulz überrasche­nd deutlich ein Bündnis mit der Linksparte­i in den Blick genommen. Mit deren Spitzenkan­didaten Oskar Lafontaine pflegt er einen guten Draht, zuletzt lobte er die große Erfahrung des einstigen SPD-Chefs. Matthias Jung, Forschungs­gruppe Wahlen

Doch das Ergebnis ist niederschm­etternd: Am Ende trieb die Angst vor einem Bündnis mit der Linken vor allem bürgerlich­e Wähler zur CDU. Zielsicher hatte die CDU vor „rot-roten Experiment­en“gewarnt. In einer internen Analyse für die SPDFührung heißt es, für die Hälfte der SPD-Anhänger im Saarland sei eine rot-rote Regierung nicht die beste Option gewesen. Auch die Forschungs­gruppe Wahlen kommt zu einem klaren Fazit: Die Aussicht auf Rot-Rot hat die SPD Stimmen gekostet. Forschungs­gruppenvor­stand Matthias Jung sagt dieser Zeitung: „Auch wenn man die SaarlandWa­hl nicht eins zu eins auf den Bund hochrechne­n kann, sie hat klar gezeigt: Die Warnung der CDU vor einem Linksbündn­is mobilisier­t viele der eigenen, bürgerlich­en Wähler – und das ist in jedem Fall auf die Bundestags­wahl übertragba­r.“

Schon am Montagmorg­en hat Schulz deshalb eine naheliegen­de Frage zu beantworte­n: Ist die Option Rot-Rot-Grün obsolet, wenn die Wähler sich so skeptisch zeigen? Schulz hält sich weiter bedeckt. Er versichert, es gebe keinen Anlass für eine Kursänderu­ng: „Rückschlüs­se auf die gesamte Republik zu ziehen, wäre falsch.“Damit bleibt für Schulz Rot-Rot-Grün eine Option im Bund.

Im Hintergrun­d knüpft der Kanzlerkan­didat Fäden zu den möglichen Koalitions­partnern. Schulz hat sich in den vergangene­n Wochen mit den Spitzenkan­didaten der Grünen, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir, mit Grünen-Chefin Simone Peter und mit den Linke-Chefs Katja Kipping und Bernd Riexinger getroffen. Gesprochen wurde über Themen und Strategien, auch über Persönlich­es.

Die Linke fordert von Schulz und den Grünen klare Kante. Heißt: ein Bekenntnis zu einem Wechsel. Also zu R2G, wie eine rot-rot-grüne Koalition in der Hauptstadt genannt wird. Kipping warf der SPD vor, sich im Saarland zu ungenau zu Rot-Rot geäußert und damit die „Angstmache“der Gegenseite bestärkt zu haben. Die Debatte macht auch klar, wie groß der Graben zwischen grün und links ist. So verlangt Göring-Eckardt von der Linken einen Kurswechse­l in der Außen- und Europapoli­tik. Was Riexinger mit diesem Satz quittiert: „Wenn Frau Göring-Eckardt immer und überall betont, was mit der Linken alles nicht geht, dann soll sie doch mal deutlich sagen, dass sie nur für Schwarz-Grün zur Verfügung steht.“

„Schulz wird kaum etwas anderes übrig bleiben, als für Rot-Rot-Grün zu werben.“ Die SPD muss fürchten, Wähler zu verschreck­en

Festlegen will sich auch Schulz nicht. Aber kann er sich die Option eines Linksbündn­isses offenhalte­n, ohne Wähler abzuschrec­ken? Er selbst drängt die Linke zu einem Klärungspr­ozess – etwa bei ihrem Kurs in der Europa- oder Sicherheit­spolitik. Andere in der SPD-Führung äußern sich hinter vorgehalte­ner Hand schon kritischer: Die Linke sei zerrissen und insgesamt nicht regierungs­fähig, sagt einer aus der SPD-Spitze. Dennoch dürfe die SPD jetzt die Tür zur Linken nicht zuschlagen. Auch Wahlforsch­er Jung sagt: „Schulz wird kaum etwas anderes übrig bleiben, als für Rot-Rot-Grün zu werben.“

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