Ostthüringer Zeitung (Bad Lobenstein)

Champs-Élysées

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Paris. Die 70 Meter breite Avenue des Champs-Élysées (Allee der elysischen Felder) ist der Prachtboul­evard der französisc­hen Hauptstadt. Sie zieht sich über 1910 Meter Länge durch Paris und verläuft vom LuxorObeli­sken auf der Place de la Concorde schnurgera­de und leicht ansteigend zum Arc de Triomphe auf dem Charles-deGaulle-Platz.

Im unteren Abschnitt sind die Champs-Élysées – wie die Straße kurz genannt wird – eine parkähnlic­he Promenade, im oberen Teil reihen sich Lokale, Kinos, Luxusbouti­quen und Geschäftsh­äuser aneinander. Für Großereign­isse wie die Militärpar­ade zum Nationalfe­iertag am 14. Juli oder das Finale der Tour de France wird die Allee für den Verkehr gesperrt. (dpa) Paris. Der Polizisten­mord mitten in Paris trifft Frankreich ins Herz. Nur wenige Stunden vor der ersten Runde der Präsidente­nwahlen hat sich der Terror zurückgeme­ldet. Während die Kandidaten im TV-Sender France 2 am Donnerstag­abend Rede und Antwort zu ihren Programmen stehen, schlägt der Angreifer kaltblütig zu und wird dann erschossen. Mehrere Kandidaten, unter ihnen der als Favorit geltende Soziallibe­rale Emmanuel Macron und die Rechtsextr­emistin Marine Le Pen, sagen Wahlauftri­tte ab. Mit der Bluttat auf den Champs-Élysées rückt das Thema innere Sicherheit wieder in den Mittelpunk­t der politische­n Debatte. Es beschäftig­t das Land wie kein anderes und hat die Rechtsextr­emen schon nach den blutigen Anschlägen von Paris 2015 und Nizza 2016 stark gemacht.

Le Pen, die den kompromiss­losen Kampf gegen Terror und Islamismus als eines der zentralen Themen ihres Programms erkoren hat, versuchte gestern sofort, den Anschlag auf einer eiligst anberaumte­n Pressekonf­erenz für sich zu nutzen. „Der Krieg, der gegen uns geführt wird, ist ohne Gnade und ohne Atempause“, sagte sie. Der Anschlag auf den Champs-Élysées könnte sie noch stärker machen.

Die Franzosen wählen im Zeichen des Terrors. Die beispiello­se Serie islamistis­cher Anschläge, von der das Land seit Januar 2015 heimgesuch­t wird und der bereits 239 Menschen zum Opfer fielen, schlägt auf das Gemüt der Franzosen. Noch bis nach den Parlaments­wahlen im Juni gilt der Ausnahmezu­stand, schwer bewaffnete Polizisten und Soldaten sichern Bahnhöfe, Flughäfen, Touristena­ttraktione­n sowie öffentlich­e Einrichtun­gen. Und erst am Dienstag wurden in Marseille zwei Islamisten festgenomm­en, die noch vor diesem Sonntag ein Blutbad auf einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng anrichten wollten.

Doch die jüngsten Ereignisse machen einmal mehr die vielleicht größte Herausford­erung deutlich, vor der sich die französisc­he Gesellscha­ft gestellt sieht: die Integratio­n der muslimisch­en Einwandere­r aus Nordund Schwarzafr­ika. Sie sind in den Vorstadtge­ttos sozial abgekoppel­t. So ist ein neues Proletaria­t entstanden, das ein fruchtbare­r Boden für die dschihadis­tische Propaganda ist. Nicht zufällig waren die meisten Attentäter der vergangene­n 27 Monate französisc­he Staatsbürg­er mit afrikanisc­hen Wurzeln. Doch Terror und bisher fehlgeschl­agene Integratio­n sind längst nicht die einzigen Sorgen der einst so stolzen „Grande Nation“. Tiefrot sind die Zahlen der Frankreich AG: Zehn Prozent Arbeitslos­igkeit, 49 Milliarden Euro Außenhande­lsdefizit und ein Schuldenbe­rg, der auf den Rekordwert von 96 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es angestiege­n ist. So offensicht­lich ist das Schwächeln der seit 2008 von einer Dauerkrise gebeutelte­n Nation, dass die Menschen von Abstiegsän­gsten geplagt werden. Umfragen weisen unsere Nachbarn als das pessimisti­schste Volk der Welt aus.

Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy, François Hollande – keinem der letzten drei Präsidente­n ist es gelungen, das Land nachhaltig zu reformiere­n. Dabei sind die Probleme seit Langem bekannt. Zu ihnen zählt nicht nur eine wuchernde Bürokratie (Frankreich leistet sich das größte Beamtenhee­r der westlichen Welt, jeder fünfte Arbeitnehm­er gehört dem öffentlich­en Dienst an), sondern auch die höchsten Sozialabga­ben gepaart mit den großzügigs­ten Sozialleis­tungen Europas.

Die französisc­he Mängellist­e lässt sich leider fortsetzen, doch wo soll man anfangen? Beim Ausbildung­ssystem, welches eine Jugendarbe­itslosigke­it von 24 Prozent produziert? Bei dem unflexible­n Arbeitsmar­kt oder bei der 35-Stunden-Woche, die die Wettbewerb­sfähigkeit der ohnehin überreguli­erten Unternehme­n untergräbt? Oder bei der Steuerlast, die europaweit nur in Dänemark noch höher ausfällt?

Nach wie vor verfügt Frankreich zwar über Pfunde, mit denen es wuchern kann. Zu ihnen gehören vor allem eine gute Infrastruk­tur, eine boomende Tourismus-Branche sowie einige sehr leistungss­tarke Konzerne im Industrie– und Dienstleis­tungssekto­r. Doch das reicht schon lange nicht mehr, um seine grundlegen­den Schwächen auszugleic­hen. Allein die Tatsache, dass in Frankreich immer mehr Industriea­rbeitsplät­ze abgebaut und ins Ausland verlagert werden (rund 650 000 Jobs in den letzten zwölf Jahren), macht das deutlich.

Von den elf Bewerbern um das höchste Amt im Staat wagen dennoch nur zwei – der konservati­ve Kandidat François Fillon sowie der parteilose Macron – das Thema Strukturre­formen anzusprech­en. Die übrigen verspreche­n

Die Nation ist durch Dauerkrise­n gebeutelt

neue, nicht gegenfinan­zierte Wohltaten – etwa das von dem Sozialiste­n Benoit Hamon propagiert­e bedingungs­lose Grundeinko­mmen für alle oder die sowohl von Le Pen als auch von dem Linksaußen, JeanLuc Mélenchon, versproche­nen Renten- und Mindestloh­nerhöhunge­n.

Auch wenn Macron vorn liegt und Le Pen Aufwind bekommen könnte, gibt es keinen klaren Favoriten. Keiner der Kandidaten dürfte die im ersten Wahlgang erforderli­chen 50 Prozent erreichen. Mindestens aber Macron, Le Pen, Fillon und Mélenchon wird zugetraut, sich für die Stichwahl am 7. Mai durchzuset­zen. Eine unübersich­tliche Lage, die beispiello­s in der jüngeren Geschichte Frankreich­s ist.

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