Ostthüringer Zeitung (Bad Lobenstein)

Gericht sieht feigen Angriff auf Zivilgesel­lschaft

- Von Kai Mudra

Erfurt. Es sei eine ungemein brutale, feige Tat gewesen, mit einer hohen Anzahl von Opfern. Richter Holger Pröbstel spricht von einem „Angriff auf die Zivilgesel­lschaft aus völlig nichtigem Anlass“.

Ob die Angeklagte­n, die sich über die Auswirkung­en des Prozesses beklagten, auch nur einmal überlegt hätten, was die Opfer mitgemacht haben, fragte der Richter gestern am Landgerich­t Erfurt bei seiner Urteilsbeg­ründung. Aus Sicht der Jugendkamm­er war im Februar 2014 in Ballstädt (Kreis Gotha) „nichts aus dem Ruder gelaufen“, als „der schwarze Mob vor der Tür stand“und dann zuschlug, nachdem diese geöffnet wurde.

„Das ist krasse Selbstjust­iz“, lässt Pröbstel keinen Zweifel an der juristisch­en Bewertung des Geschehens. Mehrfach betonte er, dass keines der zehn schwer verletzten Opfer, keiner der auf der Kirmesfeie­r damals Anwesenden, vor diesem Überfall einen Stein in eine Fenstersch­eibe eines Hauses in Ballstädt geworfen habe. Dafür gebe es keinerlei Anhaltspun­kte. Alle Opfer der Attacke sind aus Sicht der Richter Unschuldig­e.

Zehn der Angeklagte­n verurteilt­e das Gericht nach 45 Prozesstag­en zu Haftstrafe­n. Vier Männer wurden freigespro­chen.

Der mutmaßlich­e Anführer und ein weiterer Angeklagte­r sollen dreieinhal­b Jahre hinter Gitter, sieben Männer und eine Frau etwas länger als zwei Jahre. Einem der am Überfall Beteiligte­n billigte das Gericht eine Bewährungs­strafe von anderthalb Jahren zu. Der Mann belastete mit seiner Aussage bei der Polizei acht der Angeklagte­n.

Damit liegt das Gericht bei einem Teil der Strafen noch über den Forderunge­n des Anklägers.

Gegen die Urteile kann binnen Wochenfris­t Revision eingelegt werden. Bei mehreren Angeklagte­n sind rechtliche Schritte zu erwarten. Die Staatsanwa­ltschaft möchte die Urteilsbeg­ründung noch prüfen, sieht in der Tendenz aber keinen Anlass zur Revision.

Das Gericht habe den Überfall entpolitis­iert, kritisiert­e gestern die Nebenklage. Auch Katharina König-Preuss von der Linksfrakt­ion kritisiert­e, dass das Gericht in dem Überfall „keine Nazitat“festgestel­lt habe. Die Haftstrafe­n seien die richtige Antwort auf einen der brutalsten Neonaziübe­rfälle in Thüringen, betonte Dorothea Marx, justizpoli­tische Sprecherin der SPD-Landtagsfr­aktion.

„Ich begrüße die Urteile als starkes Signal des Staates und der Gesellscha­ft gegen Rechtsextr­emismus, Gewalt und Intoleranz“, erklärte auch CDU-Innenexper­te Wolfgang Fiedler. Die Verurteilu­ngen hätten gezeigt, wie wichtig ein gut aufgestell­ter Verfassung­sschutz für die Verteidigu­ng unserer demokratis­chen Grundordnu­ng sei.

Der erste Hinweis auf die Täter kam vom Verfassung­sschutz.

Zehn der  Angeklagte­n im Ballstädt-Prozess werden zu Haftstrafe­n verurteilt. Vier erhalten einen Freispruch, einer eine Bewährungs­strafe.

Erfurt. In Thüringen gibt es derzeit 34 dauerhaft vermisste Kinder und Jugendlich­e. 15 von ihnen sind bis zu 13 Jahre alt, 19 jugendlich, teilte das Landeskrim­inalamt auf Anfrage mit. Die meisten vermissten Minderjähr­igen finden sich nach kurzer Zeit wieder ein. So konnten die Behörden im vergangene­n Jahr von 125 als vermisst gemeldeten Kindern 122 ausfindig machen, von 904 Jugendlich­en tauchten 900 wieder auf.

Um derer zu gedenken, die dauerhaft verschwund­en sind, richtet die Initiative Vermisste Kinder jährlich am 25. Mai den Tag der vermissten Kinder aus. In diesem Jahr, da der Tag auf Christi Himmelfahr­t fällt, der auch als Vatertag gefeiert wird, wollen die Initiatore­n vor allem Väter für das Thema sensibilis­ieren.

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Gut gesichert war der Erfurter Schurgeric­htssaal gestern zur Urteilsver­kündung. Foto: Sascha Fromm

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