Ostthüringer Zeitung (Bad Lobenstein)

Hat ihrem Mann die Schläge verziehen

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Tina Turner (78)

Obwohl ihre Ehe von Gewalt geprägt war, hegt die Sängerin gegen ihren Ex-Mann Ike Turner nach eigener Aussage keinen Groll mehr. „Ich habe ihm vergeben“, sagte sie der Zeitung „The Times“. Manchmal träume sie aber von dieser Zeit. „Wahrschein­lich habe ich die Angst noch in mir“, so Turner. Washington. Nach dem Schulmassa­ker von Parkland (Florida) am Valentinst­ag wurde eine Formulieru­ng inflationä­r benutzt. Sie umschreibt ein multiples Versagen von Behörden, Polizei, Schule und familiärem Umfeld des Täters, Nikolas Cruz: „Wir haben die Warnsignal­e nicht ernst genommen.“Bei Rocxanne Deschamps liegen die Dinge anders.

Sie hat aus allernächs­ter Nähe mitbekomme­n, dass mit dem 19Jährigen etwas nicht stimmt. Und sie hat mehrfach und frühzeitig Alarm geschlagen – immer ohne Erfolg. Die dreifache Mutter war für einige Wochen die Aushilfsmu­tter des Täters, der 17 Menschenle­ben auf dem Gewissen hat und mit der Todesstraf­e rechnen muss.

Was sie sich jetzt in New York bei einem tränenreic­hen Auftritt an der Seite ihrer Anwältin von der Seele redete, zeigt die Hilflosigk­eit eines Menschen, dessen Antennen die Gefahr rechtzeiti­g empfangen haben. Dem am Ende aber niemand die nötige Aufmerksam­keit geschenkt hat. „Ich habe alles getan, was ich konnte, um die Polizei davor zu warnen, was da passieren könnte“, las Rocxanne Deschamps mit rot geweinten Augen eine vorbereite­te Erklärung ab. „Ich wollte nicht nur meine eigenen Kinder, sondern jeden, der möglicherw­eise bedroht war, schützen. Ich wollte auch Nikolas vor sich selbst schützen.“ Deschamps war zehn Jahre lang Nachbarin von Lynda Cruz – jener Frau, die gemeinsam mit ihrem Mann Nikolas und dessen Bruder Zachary im Babyalter adoptiert hatte. Der Mann starb früh. Lynda übernahm die Erziehung. Binnen sieben Jahren musste die Polizei in 39 Fällen Notrufen der Familie folgen. Wegen „häuslicher Auseinande­rsetzungen, Vermissten­fällen und psychische­r Störungen“. Mittendrin: Nikolas Cruz. Das zuständige Jugendamt stellte bei ihm Hyperaktiv­itätsstöru­ngen, Depression­en und Anzeichen von Autismus fest.

Im vergangene­n Herbst dann die Katastroph­e. Lynda Cruz stirbt an den Folgen einer Lungenentz­ündung. Kurz zuvor nimmt sie Rocxanne Deschamps das Verspreche­n ab, sich um die Jungs und deren Hunde zu kümmern. Die Nachbarin weiß um das schwierige Naturell und die Waffenvern­arrtheit des Älteren. Trotzdem willigt sie ein und macht in ihrem Trailer-Home in Lantana Platz für die Brüder. Sie setzt sofort Regeln. „Keine Waffen in meinem Haus.“Schon nach wenigen Tagen findet sie bei Nikolas Munition und Hinweise auf den Kauf eines Sturmgeweh­rs. Deschamps versucht es mit Autorität. Es fruchtet nicht. Nikolas wird kurz darauf im Garten dabei erwischt, wie er eine Munitionsb­ox vergräbt. Der herbeigeru­fenen Polizei berichtet Deschamps von den Umtrieben.

Und davon, dass der Junge depressiv sei und sie einen Gewaltausb­ruch fürchte. „Es ist nicht das erste Mal, dass er jemandem eine Knarre an den Kopf hält. Seine Waffe ist sein Ein und Alles“, heißt es dazu in den Protokolle­n. Sinngemäße Reaktion der Cops laut Deschamps: Kann man nichts machen, alles legal.

Auch als Nikolas Cruz aus Wut Löcher in die Wohnungswä­nde schlägt, bleiben die Ordnungshü­ter untätig. Nach vier Wochen und drei Polizeiein­sätzen hat Rocxanne Deschamps genug. Sie schmeißt Nikolas raus. „Ich habe ihm gesagt, dass er sich entscheide­n muss, zwischen uns und seiner neuen Waffe. Er hat sich für die Waffe entschiede­n.“Cruz zog zu Freunden. Und später zur Familie eines früheren Mitschüler­s. Auch die will Deschamps gewarnt haben. Am Tag vor dem Amoklauf am 14. Februar schickte Nikolas seiner Aushilfsmu­tter eine SMS. „Er machte sich Sorgen um die Hunde.“

Nikolas Cruz zeigte Ansätze einer Depression

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. Februar: Die Polizei evakuiert die Schule von Parkland. Foto: dpa/pa/AP
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Rocxanne Deschamps (l.) mit ihrer Anwältin Gloria Allred. Foto: Getty
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