Ostthüringer Zeitung (Bad Lobenstein)
Die FDP ist eine westlastige Partei, aber da ist sie nicht allein
Es war der Antrag A 400, der an den Bundesparteitag der FDP voriges Wochenende in Berlin gerichtet war. In der Betreffzeile stand etwas von „Russlandpolitik neu ausrichten“. Antragsteller: Landesverband Thüringen.
In der TV-Berichterstattung wurde das Thema dann als eine kleine Machtprobe zwischen Parteichef Christian Lindner und seinem Stellvertreter Wolfgang Kubicki hingestellt. Vermutlich aus Sorge, dass die geneigten Zuschauer mit dem Wort „Thüringen“nichts anzufangen wissen. Den Norddeutschen Kubicki dagegen, der noch nie einem Streit aus dem Wege ging, kennt jeder.
Gewonnen hat Lindner. Jedenfalls, was den Antrag anging. Der wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. Weniger glücklich agierte der Chef-Liberale mit seiner Bäckerei-Anekdote, die letztlich alles überlagerte. Die einen lachten sich halbtot über das verunglückte Beispiel, und für die anderen war klar, dass auch der freidemokratische Anführer in Wirklichkeit ein kleiner Rassist sei. Entsprechend fiel das Echo in den asozialen Netzwerken aus.
Das kommt davon, wenn Berufspolitiker sich Begebenheiten aus dem vermeintlichen Alltag des Normalbürgers zusammenspinnen. Wenn sie Szenen schildern, von denen sie annehmen, sie spielten sich so ab im prallen Menschenleben. Also vor dem Bäckerladen, wo der Migrant in der Schlange steht, weil er sich „ein Brötchen kaufen“will. Während die biodeutschen Mitglieder in der sozialistischen Wartegemeinschaft nichts anderes tun können, als sich den Kopf über eine einzige Frage zu zerbrechen: Ist dieser Mensch legal oder illegal hier?
Wir wissen es nicht. Bekannt ist lediglich, dass Thomas Kemmerich seine eigene Partei für zu westlastig hält. Nicht nur zahlenmäßig, sondern auch im Denken. „Der Blick aus Düsseldorf“, sagt Thüringens FDP-Landeschef, „der ist doch sehr anders als der aus Erfurt, wenn auf Russland geschaut wird“.
Wenn das einer einschätzen kann, dann der Wahlthüringer Kemmerich. Er stammt aus Aachen, also ganz weit westlich, und kam im unruhigen Demonstrationsherbst 1989 mit Besuchervisum nach Erfurt. Die Ereignisse haben ihm damals so gut gefallen, dass er gleich dageblieben ist. Und nach fast 30 Jahren kennt er die Leute hier ganz gut. Da hat er erfahren, dass sie mehrheitlich keinen bodenlosen Hass mit sich herumtragen auf jene, die 45 Jahre hier Besatzer waren. Ein Liebesverhältnis, wie es die SED gern propagierte, wurde zwar auch nicht draus. Aber ein gewisses Verständnis für die Probleme der Russen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, das schon. Während westdeutsche FDPler ein paar Denkmuster aus dem kalten Krieg ganz gern beibehalten haben, wie es aussieht. Ist bequemer, man muss sich nicht umgewöhnen.
Kemmerichs Landesverband hingegen wollte den Parteitag beschließen lassen, Wirtschaftssanktionen aufzugeben, wo erkennbar ist, dass sie in vier Jahren nicht die gewünschte Wirkung entfalteten. Für eine an sich wirtschaftsfreundliche Partei sollte so viel Elastizität eigentlich drin sein. Oder wie es der Thüringer Antrag formulierte: „Für Freie Demokraten gibt es kein ‚Weiter so‘ bei erkennbarer Erfolglosigkeit der Maßnahmen.“
Kubicki gefiel das offenbar. Der breiten westdeutschen Mehrheit des Parteitages gar nicht. Sie beschloss vielmehr, der Sanktionspolitik Merkels und der EU beizupflichten. Dass man gerade in der Opposition sitzt, freiwillig sogar, tat der Sache keinen Abbruch. Er wolle keine alten OstWest-Gräben aufreißen, versichert ein durchaus enttäuschter Thomas Kemmerich. Aber ein vernünftiges Verhältnis zu Russland, das sei nun mal der politisch richtige Wunsch vieler Thüringer, und zwar nicht nur der Mittelständler, die noch wirtschaftliche Kontakte pflegen. Besser gesagt, was davon übrig geblieben ist. Kemmerich will die Thüringer Liberalen nächstes Jahr zurück in den Landtag führen. Wenn es gelingt, versprach er, gebe er sein Bundestagsmandat zurück.
Aber kann es gelingen? Der neue Außenminister Heiko Maas hat seinen ostdeutschen SPD-Landesverbänden womöglich auch keinen Gefallen getan, als er, kaum im Amt, den Ton gegenüber Russland ohne Not verschärfte. Bis dahin fand ich die Kritik, die er als Justizminister einstecken musste, gelegentlich überzogen. Da tat mir der Saarländer fast ein bisschen leid. Jetzt nicht mehr.
Aber da muss er durch, der Maas, mitsamt seiner SPD. Im Thüringer Triumvirat der rot-rot-grünen Koalition sind die Sozialdemokraten das letzte Bollwerk, das noch an der Beitragspflicht für kommunalen Straßenausbau festhält. Wegen finanzieller, aber auch juristischer Bedenken. Die CSU will jetzt die Abgabe in Bayern abschaffen. Mal sehen, wann die SPD Thüringen ihre Stellung räumt.