„Geld zu sparen war nie mein Argument“
Ministerpräsident Bodo Ramelow spricht im OTZ-Interview über die Gebietsreform, die Mitte-Deutschland-Schiene und die Tourismus-Hürden in Ostthüringen
Was verbessern die Reformen? Sie bringen mehr Effizienz und darüber leistungsfähige Behörden. Wir dürfen nicht vergessen, wir stehen vor der größten Verrentungswelle im öffentlichen Dienst. Es gibt zahlreiche Alarmmeldungen über fehlendes Personal. Für das Land hat sich die Hoffnung, über den Weg der Verbeamtung leichter Personal zu finden, noch lange nicht erfüllt. Unter anderem ist die Schließung des Gefängnisses in Gera auch deshalb notwendig, um andere Bereiche wieder mit ausreichend Personal zu versorgen. Unser Ziel bleibt, wir wollen diese große und notwendige Reform ohne betriebsbedingte Kündigungen aufs Gleis bringen.
Wie gehen Sie mit der Kritik am neuen Vorschlag um?
Wir arbeiten daran, den Vorschlag zu finalisieren. Es wird deutlich, dass die Hauptkritik aus Südthüringen kommt. Mir geht es um ein Grundprinzip: Die katholischen Dörfer im Eichsfeld, die Rhöndörfer und die fränkischen Orte sollen jeweils in einem Kreis zusammenkommen können. Für Gera und Weimar gilt: Es wird keine Rolle rückwärts von der Rolle rückwärts geben.
Also wird Gera definitiv kreisfrei bleiben?
In der Stadt Gera wird mir zu emotional über den Status der Kreisfreiheit diskutiert, ohne über die damit verbundenen Pflichten und Aufgaben zu reden. Gera muss regionale Aufgaben übernehmen, zur Vernetzung beitragen. Es kann doch nicht sein, dass Buslinien des Kreises innerhalb der Stadtgrenzen von Gera keine Fahrgäste befördern dürfen, weil es unterschiedliche Verkehrsträger gibt. Es braucht einen gemeinsamen, regionalen Verkehrsträger. In der jetzigen Verfassung ist Gera nicht dauerhaft leistungsfähig. Wir müssen Gera in einen Strukturierungsprozess bringen, damit Leistungsfähigkeit entsteht.
Wie wollen Sie die Städte entschädigen, die ihren Kreisstadt-Status verlieren?
Sie brauchen eine klare Perspektive. Fest steht, dass wir sie stärken wollen, sie sollen Aufgaben in und für die Region übernehmen. Das kann heißen, Funktionen für den gesamten Landkreis zu übernehmen oder Aufgaben zu behalten. Alle Gemeinden werden künftig der zentrale Ort für die Anliegen der Bürger sein und mit starken Bürgerservicecentern das Bindeglied zu den Kreisverwaltungen. In den künftigen Landkreisen wird es eine Kreisstadt und eine große Kreisangehörige Stadt geben. Da sind Aufgaben und Behörden zu verteilen. Aber den Bürgern müssen die Wege über Bürgerservicebüros verkürzt werden.
Warum ist es besser, wenn Ostthüringen nur noch aus zwei statt bislang aus fünf Landkreisen besteht?
Thüringen hat vier regionale Planungsgemeinschaften, eine davon ist Ostthüringen. Innerhalb dieser Planungsregion wird es künftig zwei starke Landkreise und zwei kreisfreie Städte geben. Damit schaffen wir die Voraussetzung für leistungsfähige Strukturen. Ich sage auch: Das ist keine Lex-Ostthüringen, sondern gilt für alle Regionen des Landes. Die Planungsregionen sind der Raum, innerhalb dessen wir die neuen Kreise, Gemeinden und Städte besser entwickeln wollen.
Verstehen Sie, dass die Menschen im Saale-Orla-Kreis, im Saale-Holzland-Kreis und im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt erschrecken, wenn sie hören, dass sie künftig in einem Landkreis leben, der größer als das Saarland ist?
Gemessen an Flächen in Mecklenburg-Vorpommern oder den Einwohnerzahlen in Hessen schaffen wir doch Zwergkreise. Die Landkreise Saale-Orla und Saalfeld-Rudolstadt haben gemeinsam einen Verkehrszweckverband und einen Abfallzweckverband, arbeiten also hervorragend zusammen. Das Thüringer Meer liegt in der Mitte – die Kreisgrenze hat jahrelang die Entwicklung dieser Region behindert. Ich hätte mir gewünscht, dass sich beide Landkreise aufeinander zubewegen und verlangen, gemeinsam einen neuen Kreis zu bilden. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen hat sich der offizielle Teil des Saale-Orla-Kreises dieser Diskussion völlig entzogen.
Die Bürger schreckt womöglich der weite Weg in die Kreisstadt Saalfeld.
Die Frage geht am Kern des Problems vorbei. Alles, was die Bürgerbetreuung angeht, wird bürgernah organisiert. Die Bürgerservicebüros könnten in allen neuen und leistungsfähigen Gemeinden sämtliche Bürgeranliegen erledigen. Das Leben auf den Dörfern ist im Übrigen nicht von der Gemeindeverwaltung abhängig. Ein Dorf lebt von seinem Kirmesverein, dem Fußballverein und dem Feuerwehrverein.
Zumindest fällt uns schon ein Autokennzeichen für den neuen Thüringer Saalekreis ein: TSK.
Ein charmanter Vorschlag, TSK steht ja auch für Thüringer Staatskanzlei. Wieder im Ernst: Gegen die Gebietsreform sind verschiedene Klagen anhängig. Mit welchen Entscheidungen rechnen Sie?
Die Frage der Kreisfreiheit steht im neuen Kreisgliederungsgesetz. Man muss somit nicht das Vorschaltgesetz ändern, weil das Kreisgliederungsgesetz an die Stelle des Vorschaltgesetzes tritt. Das hat den Effekt, dass die CDU-Klage obsolet ist, Gera nicht klagen wird und Weimar seine Klage zurückziehen kann.
Wie wollen Sie erreichen, dass alle Abgeordneten der Koalition für die Reform stimmen? Wir werden am Ende des Beratungsprozesses
Ihre Mehrheit hängt nun an einem ehemaligen AfD-Abgeordneten, der zur SPD gewechselt ist.
Das wirft uns auch CDU-Fraktionschef Mohring vor. Interessant, hatte er selbst doch vor zweieinhalb Jahren mit der ganzen AfD über einen Gegenkandidaten für mich verhandelt. Übrigens hatten wir auch zum Start nur eine Stimme Mehrheit. Und die spielte bis heute nur einmal wirklich eine Rolle – im zweiten Wahlgang meiner Wahl. Danach konnte die Opposition ihre 45 Stimmen gegen uns nie mehr zusammenbringen.
Glauben Sie, dass Rot-RotGrün bis zur planmäßigen Wahl durchhält?
Ein Blick in die Thüringer Landesverfassung reicht: Die Frage ist nicht, ob ich eine Stimme Mehrheit habe oder nicht. Sondern, ob ich bis zum Ende der Legislaturperiode die notwendige Mehrheit für wichtige Gesetzgebungsverfahren bekomme. Das einzige, das zum Ende einer Regierung führen könnte, wäre die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten. Wenn Herr Mohring dafür eine Mehrheit sieht, soll er sich auf die Geisterfahrt begeben. Ich jedenfalls sehe die nicht.
Kommen wir zur MitteDeutschland-Schiene: Hat Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt inzwischen schriftlich bestätigt, dass die Elektrifizierung wirklich kommt?
Er hat mir diese Woche bestätigt, dass die schriftliche Grundlage derzeit erarbeitet wird. Wir können also fest davon ausgehen, dass die Strecke elektrifiziert wird.
Warum setzen Sie sich so für das Projekt ein?
Durch die Verschiebung der Schnellverkehre auf die Strecke durch den Thüringer Wald verliert die Saalbahn den ICE. Ich habe das in Hessen erlebt, als die Main-Weser-Bahn wegen der Schnellfahrstrecke über Fulda zur Provinzbahn wurde. Gleiches dürfen wir in Ostthüringen nicht zulassen. Dafür brauchen wir auf der Mitte-DeutschlandVerbindung langlaufenden Fernverkehr durch Ostthüringen nach Sachsen.
Und das geht nur mit Oberleitung?
Auf der Linie sollen Doppelstock-Intercitys fahren. Eine ELok muss diese ziehen, weil es ein Umkoppeln auf Diesellok nicht mehr gibt. Darum brauchen wir dringend die Oberleitung. Gera bleibt sonst vom Fernverkehr abgekoppelt. Aber noch ein weiteres Bahnprojekt in Ostthüringen liegt mir besonders am Herzen.
Welches?
Die Höllentalbahn an der Grenze des Saale-Orla-Kreises zu Bayern. Hier fehlen drei Kilometer Gleis, um die Straße von täglich 300 Lkw zu befreien, die Holz zur Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal in Blankenstein bringen. In dieser Frage bin ich sehr intensiv mit Horst Seehofer im Gespräch. Und der Lückenschluss könnte auch positive Effekte für den Tourismus haben.
Apropos: Warum spart das neue Tourismuskonzept Ostthüringen komplett aus? Gegenfrage: Was könnte man denn dort aktuell als KomplettPaket den Reiseveranstaltern anbieten und vermarkten? Ich gebe die Kritik als Ansporn zurück in die Region. So wie am Zeulenrodaer Meer erfolgreich an neuen Konzepten gearbeitet wird, so brauchen wir eine Aufwertung der Saalekaskade. Positive Zeichen gibt es: Ein Privatinvestor will mit Hausbooten auf die Saale. Darüber hinaus wäre eine gewerblich betriebene Ferienanlage, die ganzjährig vermarktbar ist, wichtig. Damit könnten wir im Radius von 250 Kilometern, also auch in Regionen wie Nürnberg oder Frankfurt, punkten.
Das klingt so, als wollten Sie nach Ihrer Laufbahn als Ministerpräsident Tourismusmanager am Thüringer Meer werden?
Die Region liegt mir sehr am Herzen. Sie kann sich etwas vom Engagement in Zeulenroda abschauen. Leider ist an der Saalekaskade die Missgunst untereinander ausgeprägt und die Kreisgrenze störend.
Was wünschen Sie sich von Ostthüringen?
Die sachlich nicht begründbare Beschwerde, am Hermsdorfer Kreuz würde die Welt enden, muss überwunden werden. Denn mit dieser Position macht man sich unnötig schwach und klein. Ich wünsche mir ein selbstbewusstes Ostthüringen.