Viel mehr als nur „Vergessene Zentimeter“
Volker Müller stellt mit Wilfried Pucher und Hermann Losch neuen Lyrikband vor
der Angst // Weiß nicht, / wie weit die goldene Leiter noch reicht“. Doch es sind nicht nur Innenansichten, die der Autor thematisiert. Er fabuliert über die Schönheit der vogtländischen Natur oder über die Landschaften von Hiddensee und Brandenburg. Und oft lässt er seine Gedanken darüber hinaus in die Welt schweifen, füllt das lyrisch Gefasste mit eigenen Erinnerungen an seine Jugend oder Familie auf oder setzt geschickt Kontrapunkte zum Weltgeschehen. In einer klaren, schlanken und trotzdem bildreichen Sprache verquickt Müller Erlebnisse, Erfahrungen und Ansichten und haucht so den kurzen Texten mitunter die Kraft einer Erzählung ein.
Für die Präsentation in Greiz habe er bewusst auf bestimmte, im Buch behandelte Themen verzichtet, zum einen, weil sie nicht zur Dramaturgie des Abends gepasst oder konträr zur Jahreszeit gestanden hätten, erklärte Müller. Auch erzählte er, warum er erstmals eines seiner Bücher keiner konkreten Person, sondern einer Institution, der Vogtland Philharmonie Greiz/Reichenbach, gewidmet habe. Denn die Musik und die zahlreichen Konzerte, die er in den zurückliegenden Jahren besucht habe, hätten keinen geringen Anteil daran, dass er wieder begonnen habe, Gedichte zu schreiben. Bedankt hat sich Müller bei Harald Seidel für die Möglichkeit, auch diesen Band wieder in dessen Reihe vorstellen zu dürfen, und er dankte seinen beiden Mitstreitern für die Unterstützung.
Was Volker Müller, Wilfried Pucher und Hermann Losch anschließend darboten, war ein grandioses Verzahnen von Literatur und Musik. Alternierend lasen Pucher und Müller die Texte, wobei beide gekonnt mit der Sprache, der Betonung und dem Duktus der Gedichte jonglierten, und Pucher sich wiederholt als großartiger Rezitator empfahl. Die so schon spannungsreiche Dramaturgie des Abend stützte Losch in besonderem Maße am Flügel. Virtuos improvisierte er über Kompositionen unter anderem von den Beatles, Carla Bley oder George Gershwin. Längere Intermezzi wechselten mit solchen, die bisweilen nur wenige Takte besaßen, wodurch nochmals eine außergewöhnliche Dynamik zwischen Musik und Literatur entstand. Gleichfalls ließ sich Losch von den Texten selbst leiten, übertrug den Inhalt der Gedichte ins Musikalische und gab seinem Spiel mit hier kraftvollem Anschlag und dort mit sensibler Hingabe mal Sprödigkeit, mal mitreißende Rhythmik. So trug die Musik das Wort und gab den Gästen Zeit, ihren Interpretationen nachzugehen.
Zweifellos weckten Autor Müller und seine beiden Künstlerkollegen reichlich Neugier auf den neuen Gedichtband, der eben weit mehr als nur ein paar „Vergessene Zentimeter“zu bieten hat, wobei es in dem titelgebenden Gedichtet heißt: „Am glühend heißen Junihimmel / ziehn braune Sicheln ihre Bahn // Das gibt’s nur, wo noch nicht / alles glänzt und blitzt // Leben braucht Unordnung, Mangel, Verfall // Freund Mauersegler / genügen unterm Dach / ein paar vergessene Zentimeter“