Spion und Schriftsteller
In seinen Memoiren „Der Taubentunnel“erzählt John le Carré über sein aufregendes Leben, das so spannend wie seine Bestseller ist.
Den Arbeitstitel „Der Taubentunnel“verwendete John le Carré vielfach für seine Manuskripte, doch erst jetzt verwendete er ihn als Buchtitel für die „Geschichten aus meinem Leben“.
„The Pigeon Tunnel“kam dieses Jahr bei Viking, London heraus. Nun ist der Band in der Übersetzung von Peter Torberg auf Deutsch erschienen. Ein schönes Geschenk für den Meister des Spionageromans, der am 19. Oktober 85 Jahre alt wird.
Die Titelwahl geht auf ein Ereignis in der Kindheit zurück, als ihn sein hochstaplerischer Vater Ronnie, ein Betrüger und Spieler, der mehrfach im Gefängnis saß, ins Casino von Monte Carlo mitnahm.
Gleich daneben befand sich eine Schießanlage, auf der die Schützen mit Schrot auf Tauben schossen, die vom Casino durch einen Tunnel in die vermeintliche Freiheit flogen. Ein prägendes Erlebnis.
Einschneidend der Verlust der Mutter. Sie verließ die Familie, als ihr Sohn fünf Jahre alt war. Noch prägender die komplizierte Beziehung zum gewalttätigen Vater, dem sich der Autor erst im letzten Drittel des Buches zuwendet: „Der Sohn des Vaters des Autors“.
Dieser Vater war daran Schuld, dass der britische Autor, der eigentlich David John Moore Cornwell heißt, mit 16 aus dem berühmten Internat Sherborne in die Schweiz abhaut. An der Universität Bern studierte er Germanistik und Neue Sprachen und wurde dort, wie er in seinen Memoiren schreibt, vom britischen Geheimdienst als „Botenjunge“angeheuert. Richtig zur Sache ging es dann ab 1958 bis 1965 als Agent beim MI5 und MI6 und war für letzteren in Bonn und Hamburg im diplomatischen Dienst tätig. In dieser Zeit schrieb er auch seinen Weltbestseller „Der Spion, der aus der Kälte kam“.
Nach Ende des Dienstes widmete er sich ausschließlich der Schriftstellerei und fand dabei seinen frankophil klingenden Künstlernamen, mit dem er auf sich aufmerksam machen wollte. Das gelingt ihm bis heute perfekt. In seinen Memoiren geht er auch darauf ein, wie stark ihn die deutsche Sprache und Literatur, besonders Goethe, Lenz, Schiller, Kleist und Büchner, geprägt haben.
„„Nicht die Spionage lehrte mich Verschwiegenheit. Ausflüchte und Täuschungsmanöver waren die wichtigsten Waffen meiner Kindheit.“
John le Carré in „Der Taubentunnel“
Der Taubentunnel“ist ein Erinnerungsbuch, voller Episoden, Anekdoten, Porträts und Reisebeschreibungen, in dem Reflexionen über Politik und Kunst natürlich nicht fehlen.
John le Carré schreibt über seine Bücher, seine Figuren wie die im Kalten Krieg operierenden Spione George Smiley und Alec Leamas, über das Genre des Spionageromans und Geheimagenten, die Schriftsteller wurden, so Somerset Maugham und Graham Greene. Was er als Geheimagent, unterwegs in höchsten politischen Kreisen, leistete, gibt le Carré nicht preis, wenn er über die für den KGB tätigen Doppelspione Kim Philby und George Blake berichtet. Mit beiden hat er sich fiktiv in seinem Roman „ Dame, König, As, Spion“auseinandergesetzt.
Ob John le Carré, der bisher über 20 Bücher veröffentlicht hat, eines Tages Einblicke in seine bisher verschwiegene geheime Welt gibt?
Das wäre ein brisanter Stoff, nach dem seine Leser gieren. Vorerst jedoch erzählt er unterhaltend über die Nachkriegsjahre im Wirtschaftswunderland Deutschland unter Konrad Adenauer mit Alt-Nazis in neuen Karrieren, über Begegnungen mit dem SPD-Politiker Fritz Erler, der das Zeug zum Bundeskanzler hatte. In die Krisengebiete des Nahen Ostens führt die Begegnung mit Palästinenserführer Jassir Arafat.
In Bremen trifft le Carré 2006 den ehemaligen GuantanamoInsassen Murat Kurnaz, der eine Ähnlichkeit zur Figur Melik im Roman „Marionetten“(2008) besitzt. Packend sind diese Erinnerungen, ganz nah an der Wirklichkeit, an den Fakten, doch die absolute Wahrheit, so le Carré, sei trotz intensiver Suche schwer zu finden.