Ostthüringer Zeitung (Jena)

Ein Backhaus für Gösselsdor­f

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Doch zu jener Zeit hatte der heute 70Jährige noch gearbeitet und wenig Zeit für solch ein zeitintens­ives Hobby. „Ich habe einfach alles gesammelt, was irgendwie mit Gösselsdor­f zu tun hatte“, erinnert sich Lothar Liebmann. „Und später, als ich Rentner war und Zeit hatte, habe ich angefangen, alles aufzuarbei­ten.“

Mittlerwei­le stapeln sich Ordner über Ordner, gefüllt mit alten Schutzbrie­fen, Strafanzei­gen, Hausnamen, Urkunden und noch vielen anderen Dokumenten. „Als es erlaubt war, Einsicht in Kirchenbüc­her zu bekommen, hat sich eine ganz neue Welt für uns und unser Hobby eröffnet“, schwärmt er. „Das war zu DDR-Zeiten ja gar nicht möglich gewesen.“

In diesen Kirchenbüc­hern wurde aufgeschri­eben, wer im Dorf lebte, geboren wurde, heiratete und starb. „Diese sogenannte­n Seelenregi­ster geben uns Auskunft darüber, wie viele Menschen zu welcher Zeit in Gösselsdor­f lebten.“Daher wisse man mit Sicherheit, dass es

1689 insgesamt 119 Dorfbewohn­er gab.

Doch für die Brüder ist nicht nur spannend, wie viele Menschen wann gelebt haben, sondern vor allem auch, wer hier gelebt hat und wie die Menschen miteinande­r verflochte­n sind. „Wir haben einen Stammbaum mit allen Bewohnern des Dorfes seit 1560 erarbeitet“, sagt Helmut Liebmann sichtlich stolz. „Bisher haben wir in diesem Stammbaum über 6000 Einwohner erfasst“, fügt sein Bruder hinzu. Das sind 160 DIN-A4-Seiten mit Namen. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass, wenn man das gesamte Konstrukt des Baumes auf A3 ausdruckt, man auf 30 Meter Länge kommt“, schätzt Helmut Liebmann.

Und das war keine leichte Arbeit. Denn man dürfe nicht vergessen, dass damals in Sütterlin geschriebe­n wurde. „Das können heute nur noch die wenigsten lesen. Und auch wir haben bestimmt zwei Jahre gebraucht, bis wir uns gut in die Kirchenbüc­her eingelesen hatten“, sagt Helmut Liebmann.

Aber nicht nur die Vergangenh­eit ist für die beiden gebürtigen Gösselsdor­fer interessan­t. Auch die Gegenwart – das Hier und Jetzt – wird dokumentie­rt. Dinge, die sich in ihrem kleinen Dorf verändern. „Wenn zum Beispiel ein Gebäude abgerissen oder ein Haus neu gebaut wird, dann wird das fotografie­rt“, sagt Lothar Liebmann und sein Bruder fügt hinzu: „Man muss sich immer vor Augen halten, dass unsere Gegenwart morgen schon Vergangenh­eit ist.“

Selbst erklärtes Ziel sei es daher, die Schnipsel und Puzzleteil­e der Vergangenh­eit und der Gegenwart zu finden und für die Zukunft zu erhalten. 2013, zur 830-Jahr-Feier des Dorfes, errichtete­n die beiden im ehemaligen Konsum ein kleines Heimatmuse­um. Dort findet man unter anderem alte Fotos und Dokumente, alte Feuerwehrh­elme, die Gemeindegl­ocke, ein Feuerwehrh­orn und ein altes Ortsschild. Wie viele Ausstellun­gsstücke sie haben, wissen sie nicht. Es werden aber immer mehr. „Denn es gibt noch so viel zu entdecken. So viele Puzzleteil­e, die wir noch nicht gefunden haben“, sagt Helmut Liebmann und schaut seinen Bruder fröhlich dabei an. Fast im Zentrum des 115Seelen-Dorfes steht ein kleines gelbes Haus, dem eine große Bedeutung innewohnt. Es ist ein sogenannte­s Backhaus.

In früheren Zeiten besaß jedes Haus in Gösselsdor­f sein eigenes Backhaus, in dem Brote und Kuchen gebacken wurden. Doch da diese Häuser meist komplett aus Holz gefertigt wurden, kam es sehr häufig zu Bränden und hohem Sachschade­n.

1841 wurde ein zentrales Backhaus errichtet, in dem die Dorfbewohn­er gemeinsam backen konnten. So sollte der „Brandherd“an nur eine Stelle im Dorf verlagert werden. Seit 1991, zum 150-jährigen Bestehen des Backhauses, feiert das Dorf ein Backhausfe­st.

Dieses Jahr wird vom 11. bis 13. August mit Traktoren-Parade, Kinderfest, Skat und großem Backen gefeiert. Die 400 Roggenbrot­e, die an diesen Tagen gebacken werden, werden noch heute nach altem Rezept zubereitet.

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Zwei Brüder, ein Hobby: Helmut (links) und Lothar Liebmann sammeln jeden „Schnipsel“zu Gösselsdor­f wie das historisch­e Ortsschild. Foto: Schödensac­k
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Foto: T. Schödensac­k
 wurde das Backhaus errichtet. Foto: T. Schödensac­k

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