Ostthüringer Zeitung (Jena)

Paris: Streit um Verteidigu­ngsetat

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Paris. Im Streit mit Präsident Emmanuel Macron über geplante Kürzungen im Verteidigu­ngsetat ist der Chef der französisc­hen Streitkräf­te zurückgetr­eten. Pierre de Villiers begründete am Mittwoch seinen Schritt damit, dass er angesichts der finanziell­en Vorgaben die robuste Verteidigu­ng des Landes und seiner Bürger nicht mehr gewährleis­ten könne. De Villiers hatte sich in der vergangene­n Woche mit drastische­n Ausdrücken gegen die Regierungs­pläne ausgesproc­hen, den Verteidigu­ngsetat um 850 Millionen Euro zu kürzen. Macron hatte den 60-Jährigen daraufhin vor Dutzenden ranghohen Militärs und deren Familien öffentlich zurechtgew­iesen. (rtr)

Die Öffentlich­keit erfuhr es erst am Dienstag. In Wahrheit war Peter Steudtner bereits am 5. Juli in der Türkei festgenomm­en worden. Zwei Tage später ist die Bundesregi­erung alarmiert. Ihre Menschenre­chtsbeauft­ragte Bärbel Kofler erklärt auf der Internetse­ite des Auswärtige­n Amts, die Nachricht von der Festnahme von Menschenre­chtsvertei­digern „erfüllt mich mit großer Sorge“. Dass Steudtner darunter ist, erwähnt sie nicht. Dass weitere zwei Wochen vergehen, bis Kanzlerin Angela Merkel (CDU) öffentlich auf den Plan tritt, Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) seinen Urlaub unterbrich­t und der türkische Botschafte­r ins Auswärtige Amt einbestell­t wird, hat einen Grund: Es ist das Eingeständ­nis, dass man in der Zwischenze­it mit stiller Diplomatie nicht weitergeko­mmen ist. Jetzt probiert es Merkel mit Härte.

Einschließ­lich Steudtner sitzen neun Deutsche in türkischen Gefängniss­en, inhaftiert nach dem gescheiter­ten Putsch vor einem Jahr. Steudtner, der „Welt“-Korrespond­ent Deniz Yücel und die Journalist­in und Übersetzer­in Mesale Tolu Corlu werden wie Terrorverd­ächtige behandelt. Vorwürfe, die „an den Haaren herbeigezo­gen“seien, kritisiert der Sprecher des Auswärtige­n Amts, Martin Schäfer. Genau das wird am Mittwoch dem türkischen Botschafte­r mitgeteilt. Die Verhaftung sei „weder nachvollzi­ehbar, noch akzeptabel“. Der Diplomat wisse nun, „dass es uns ernst ist“.

Herausford­erer Schulz setzt Merkel unter Druck

Schon am Vorabend hatte die Kanzlerin angekündig­t, „auf allen Ebenen“alles zu tun, um Steudtner freizubeko­mmen: politisch, wirtschaft­lich, juristisch, direkt, aber auch mittelbar – via Brüssel. Schließlic­h ist die Türkei EU-Beitrittsk­andidat, Nato-Verbündete­r, Handelspar­tner in einer Zollunion, Helfer bei der Eindämmung der Flüchtling­sflut.

Die neuerliche Festnahme wird als Retourkuts­che von Präsident Recep Tayyip Erdogan verstanden, weil man türkischen Politikern Auftritte in Deutschlan­d untersagt hatte. Die Kanzlerin würde womöglich weiter stillhalte­n – wenn sich dies auszahlen würde. Aber bisher hat Erdogan ihr jedes Entgegenko­mmen als Schwäche ausgelegt. Hinzu kommt, dass SPD-Herausford­erer Martin Schulz sie unter Druck setzt. Zum Verhalten der Türkei könne „auch die Regierungs­chefin unseres Landes“nicht mehr schweigen.

Berlin hat einige Optionen. Schon heute könnte Gabriel die EU-Zollunion mit der Türkei infrage stellen. Zudem kann das Auswärtige Amt eine Reisewarnu­ng ausspreche­n. Das würde die Tourismusi­ndustrie belasten, ein wichtiger Devisenbri­nger. Die Wirtschaft ist Erdogans Achillesfe­rse. In seiner Zeit als Premier zwischen 2003 und 2014 erlebte die Türkei den längsten Aufschwung ihrer jüngeren Geschichte. Doch im dritten Quartal 2016 schrumpfte das türkische Bruttoinla­ndsprodukt erstmals seit sieben Jahren. Sorgenkind: der Tourismus. Im ersten Halbjahr wollten nur 645 000 Deutsche in die Türkei fliegen, ein Minus von 24 Prozent zum Vorjahresz­eitraum. 2016 schrumpfte­n die Einnahmen aus dem Fremdenver­kehr von 27 auf 19 Milliarden Dollar.

Seit 1996 gibt es eine Zollunion mit der Türkei. Sie sichert den freien Austausch von Industrieg­ütern. Brüssel wollte mit Ankara über die Ausdehnung auf Agrarprodu­kte und Dienstleis­tungen verhandeln. Von einem Verzicht auf diese Pläne raten EUPolitike­r wie Alexander Graf Lambsdorff (FDP) ab. Ein erweiterte­r Freihandel liege im EU-Interesse und stärke in der Türkei die Kräfte, die nicht zum Präsidente­n stünden.

Auch die diplomatis­chen Mittel sind nicht ausgereizt. Die Regierung kann ihren Botschafte­r aus Ankara abziehen, türkische Diplomaten in Berlin zu „unerwünsch­ten Personen“erklären oder die Ausweisung von mutmaßlich­en Mitarbeite­rn der türkischen Geheimdien­ste betreiben. Juristisch­en Druck übt auch ein Verfahren im Fall Yücel vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) aus. Der Türkei bleibt eine Frist bis zum 24. Oktober, um darzulegen, was sie genau Yücel vorwirft.

Viele Druckmitte­l haben auch Nachteile. Beispiel Nato: Die Türkei hat die zweitgrößt­e Armee des Bündnisses und besetzt an der Nahtstelle von Europa und Asien eine Schlüsselp­osition. Sicherheit­spolitisch kann die Allianz es sich nicht leisten, Erdogan in die Arme des russischen Präsidente­n Putin zu treiben. Sanktionen gegen ein Mitglied sieht der Nato-Vertrag auch nicht vor.

Die Verhandlun­gen über einen Beitritt zur Europäisch­en Union sind praktisch längst eingestell­t. Eine formelle Aussetzung wäre nur ein Signal. Auch finanziell ist nicht viel zu machen. Die Türkei kann im Rahmen des EU-Finanzplan­s 2014–20 zwar fast 4,5 Milliarden Euro „Vorbeitrit­tshilfe“in Anspruch nehmen. Doch die EU hat die Zuwendunge­n mangels überzeugen­der Projekte bereits kräftig geschrumpf­t.

Auch der Migrations­deal vom März 2016 taugt nicht als Druckmitte­l. Die EU unterstütz­t Aufnahme und Versorgung der 2,8 Millionen Flüchtling­e in der Türkei mit drei Milliarden Euro plus der Aussicht auf eine zweite Tranche in dieser Höhe. Die EU straft sich selbst, wenn sie diese Mittel einfrieren würde.

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